Zwei Abteien im Tal der Seine: Saint-Georges und Jumièges
Wie die Perlen einer Kette reihen sich die Abteien auf der Strasse der Abteien in der Normandie aneinander. Auf unserem Weg von Giverny nach Fécamp besuchen wir entlang der «Route des Abbayes normandes» zwei Highlights: die Abtei Saint-Georges de Boscherville und die Abtei Jumièges. Diese zwei Abteien, die nicht unterschiedlicher sein könnten, stelle ich dir im Beitrag vor. Wenn du mich fragst, musst du dir unbedingt beide Abteien anschauen, denn sie berühren beide auf ganz unterschiedliche Art die Seele. Das gilt auch für die Abtei von Hambye, die ich dir in einem weiteren Beitrag vorstelle. Am Mont-Saint-Michel endet die Strasse der Abteien in der Normandie.
Zusätzlich erfährst du in diesem Beitrag auch etwas über die Geschichte, denn die Geschichte der Abteien ist stark verwoben mit der Geschichte der Normandie. Wie immer gilt, lass dich inspirieren und mache dir dein eigenes Bild.
Die Abtei Saint-Georges de Boscherville
Eingebettet in einer Schleife der Seine, ungefähr 12 km von Rouen entfernt, befindet sich der kleine Ort Saint-Martin de Boscherville. Die dominante romanische Abteikirche mit ihren beiden Laternentürmen ist das erste, was uns ins Auge fällt. An diesem Wochentag Ende April ist erfreulich wenig los. Der beschauliche Ort liegt noch in einem Dornröschenschlaf.
Gegründet wurde die Kirche der Abtei Saint-Georges im Jahr 1113 von Guillaume de Tancarville an Stelle eines alten Tempels. Die Familie Tancarville hatte das Amt des Kämmerers der Normandie und Englands inne, wodurch das Kloster wichtige Schenkungen erhielt. Die Abtei Saint-Georges liegt oberhalb der Abteien von Saint-Wandrille und Jumièges und vervollständigt zu Beginn des 12. Jahrhunderts das Netz der grossen Benediktinerabteien im Tal der Seine. Diese wurden von den Herzögen der Normandie reich ausgestattet und profitierten damals vom landwirtschaftlichen Reichtum der Region, von der Schifffahrt auf der Seine und den Mautgebühren sowie von den Beziehungen zwischen der Normandie und England.
Wir werfen einen kurzen Blick in die Kirche und begeben uns dann auf die Suche nach dem Eingang in die Gärten. Durch ein seitliches Tor kommt man in einen Vorgarten. Der eigentliche Eintritt erfolgt jedoch über das klassizistische Haus, in dem sich auch der Souvenirshop befindet. In den Ausstellungsräumen der oberen Etage stimmt uns eine Fotoausstellung von fantastisch inszeniertem Gemüse auf den Besuch des Obst- und Gemüsegartens ein.
Kreuzgang und Kapitelsaal
Bevor wir die Gärten erkunden, schauen wir uns den Kapitelsaal neben der Kirche an. In diesem Saal wurden die Regeln des heiligen Benedikts täglich den Mönchen verlesen. Vor dem Kapitelsaal befand sich ein Kreuzgang aus dem 12. Jahrhundert. Grabungen ergaben, dass dieser Kreuzgang reich dekoriert war. Die gefundenen Stücke stehen jetzt in einem Museum in Rouen. An den Kreuzgang erinnern heute die speziell gezogenen Buchenhecken.
Die Gärten der Abtei Saint-Georges
Die Gärten des Benediktiner Klosters wurden nach Plänen von 1683 und 1702 kontinuierlich seit den 90er Jahren rekonstruiert. Umgeben von hohen Mauern, ziehen sich die Gärten den Hang hinauf. Ein zentraler Weg führt zum Wind Pavillon. Bei Ausgrabungen unter dem Weg wurde ein Rohr und eine Zisterne entdeckt, die auch heute noch zur Speisung des Brunnens dienen.
Der Garten beherbergt einen Obstgarten mit Bäumen alter Apfel-, Birnen- und Pflaumensorten. Zwischen den Obstbäumen blühen Frühjahrsblüher.
Im Gemüsegarten gibt es jetzt im Frühjahr noch nicht so viel zu sehen, wenn man von den vielen Artischocken absieht. Die Beete sind allerdings schon vorbereitet und die ersten Samen sind gelegt. Früher wurden hier Pastinaken, Melde, Kohl und Saubohnen angepflanzt. Später dann auch Kartoffeln, Gurken und Tomaten. Ganz offensichtlich war den Mönchen schon der Nutzen von Mischkulturen bekannt. So wurden Ringelblumen zwischen das Lauch gepflanzt, um den Schmetterling, der seine Eier auf dem Lauch ablegt, zu verwirren. Kapuzinerkresse sollte das Gemüse vor Blattläusen schützen.
Natürlich gehört zu einem richtigen Klostergarten auch ein Kräutergarten mit Heilpflanzen und ein Weinberg.
Auf dem Weg nach oben bieten sich immer wieder interessante Blicke auf die Abtei Saint-Georges.
Beim Wind-Pavillon angekommen, bietet sich ein eigenartiger Anblick. Ein Baumwürfel als Schattenplatz und ein Baumlabyrinth.
Beides dürfte wohl eine Errungenschaft neuerer Zeit sein, um die Attraktivität des Gartens für Besucher zu erhöhen. Im Labyrinth kann man für eine ganze Weile verloren gehen, bis man den Ausgang findet.
Praktische Informationen
Die Abtei Saint-Georges mit ihrem eindrücklichen Garten liegt an der normannischen Strasse der Abteien. Du kannst die Gärten vom 1. März bis 30. November besichtigen. Die Öffnungszeiten variieren im Laufe des Jahres. Im Jahreszeitverlauf gibt es verschiedene Events im Klostergarten und wechselnde Ausstellungen.
Spartipp: Solltest du, so wie wir, sowohl die Abtei Saint-Georges als auch die Abtei Jumiège besuchen wollen, frage unbedingt nach dem Abbayes Pass. Er ist 48 Stunden gültig.
Bist du mit Kindern im Alter von 7 bis 12 unterwegs, ist vielleicht der «Salamander-Parcours», ein Spielheft für die Entdeckung des Klostergartens interessant. Den gibt es bei den Tickets.
Abtei Jumièges – romantisch
Die Abtei Jumièges liegt gar nicht weit entfernt im nächsten Bogen der Seine. Von der Abtei Saint-Georges sind es mit dem Auto nur 17 km. Du kannst beide Abteien wunderbar an einem Tag besuchen. Nach dem Klostergarten der Abtei Saint-Georges erwartet uns nun die schönste Ruine Frankreichs in einem englischen Landschaftsgarten. Dieser wurde angelegt, um die Ruine besser in Szene zu setzen. Hier in Jumièges ist deutlich mehr los. Wir haben aber Glück und finden auf Anhieb einen Parkplatz. Im 14 Hektar grossen Gelände der Abtei verläuft sich der Besucherandrang aber. Das Auf und Ab der Abtei Jumièges ist stark mit der normannischen Geschichte verbunden, sodass ich dich vor unserem Rundgang erst einmal in die Vergangenheit entführe.
Die bewegte Geschichte der Abtei Jumiège
Erste Blütezeit
Im Jahr 654 gründet der später heilig gesprochene Philibert die Abtei Jumièges. Damals war das Gelände an der Seine sumpfig und mit dichten Wäldern bewachsen. Er bekommt Unterstützung durch die Gemahlin von Chlodwig II, die ihm unter anderem die Rechte am Fluss für Fischerei und Maut gibt. Die Abtei wuchs und gedieh, bis die Invasionen der Wikinger dem ein Ende setzte. 841 wurde das Kloster von den Eroberern niedergebrannt.
Die Küste der Normandie wurde seit dem 8. Jahrhundert wiederholt durch Wikinger verwüstet, und als die karolingischen Herrscher schwächer wurden, drangen die Wikinger bei ihren Plünderungen immer weiter ins Landesinnere vor. Schliesslich trat der französische König Karl III. der Einfältige, das Gebiet um Rouen und die Seine-Mündung im Vertrag von St. Clair-sur-Epte (911) an Rollo, einen Anführer der Wikinger ab. Rollos Landsleute wanderten in grosser Zahl ein, um das Land zu besiedeln. Diese Wikinger wurden später als Normannen bekannt und gaben der Normandie ihren Namen.
Zweite Blütezeit
Im 11. Jahrhundert erlangte Jumièges seine einstige Pracht und Bedeutung wieder. Rollos Nachfolger erwarben in einer Reihe von Kriegen benachbarte Gebiete und wurden so mächtig, dass sie ihre Herrschaft unabhängig von der französischen Krone ausübten. Wilhelm, Herzog der Normandie und entfernter Verwandter Rollos unternahm 1066 sogar eine Invasion in England, wurde Wilhelm I. von England (Wilhelm der Eroberer) und vereinigte damit die Herrschaft über England und die Normandie in sich. Auf sein Geheiss hin wurde die Abtei Jumièges wieder aufgebaut. Das Skriptorium, wo die Mönche Handschriften kopierten und illustrierten, erlangte in dieser Zeit grosse Bedeutung und wurde weiter ausgebaut.
Nach dem Tod von Wilhelm dem Eroberer entbrannte zwischen seinen Söhnen Streit um die Nachfolge. Henry I., König von England, besiegte seinen Bruder Robert, Herzog der Normandie. Im Hundertjährigen Krieg und mit der Besetzung der Normandie durch die Engländer endet auch die zweite Blütezeit der Abtei Jumièges, da die Mönche oft fliehen mussten und die Abtei nur aus der Ferne verwalteten.
Dritte Blütezeit
Erst nach der Mauriner Kongregation erlebte die Abtei Jumièges eine dritte Blütezeit im 17. Jahrhundert durch eine spirituelle und materielle Erneuerung. Diese fand jedoch ein jähes Ende als die Abtei Jumièges während der Französischen Revolution als Kirchengut verkauft und anschliessend 25 Jahre als Steinbruch verwendet wurde.
Im Sommer 1835 besucht Victor Hugo erstmals auf einer Reise durch die Normandie die Abtei Jumièges. Er setzt sich seit 1825 für den Erhalt des Kulturerbes in Frankreich ein. Durch ihn erreicht die Abtei von Jumièges grosse Bekanntheit als «schönste Ruine Frankreichs». Im Alter, im Jahr 1879 besucht er erneut die Normandie und besucht sowohl die Abtei Saint-Georges de Boscherville als auch die Abtei Jumièges. Dass wir die «schönste Ruine Frankreichs» heute besuchen können, verdanken wir den späteren privaten Besitzern und dem Staat, der die Klosterruine nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm, da wichtige Sicherungsmassnahmen der Ruine für deren Erhalt gesorgt haben.
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Besuch der Abtei Jumiège
Durch ein Portal aus dem 14. Jahrhundert betrittst du die Klosteranlage von Jumièges. Wir besichtigen das Kloster auf eigene Faust, da wir keine Lust haben, auf die nächste Führung zu warten.
Die Abteikirche Notre-Dame ist mit ihren 46 m hohen Laternentürmen, die das Kirchenportal flankieren, eindrücklich. Sie war in damaliger Zeit die höchste Kirche der Normandie.
So richtig bewusst wird uns die gewaltige Grösse der kreuzförmigen Abteikirche Notre-Dame aber erst im Kirchenschiff. Das Mittelschiff ist 25 m hoch. Unten führen grosse Arkaden zu den Seitenschiffen. Darüber befinden sich Emporen mit dreifachen Arkaden und die Hochfenster.
Das Querschiff der Kirche existiert heute nicht mehr und ist nur durch einen Steinkreis angedeutet.
In der Petruskirche befinden sich noch Überreste aus karolingischer Zeit.
Uns begeistern die Aus- und Einblicke auf den Himmel und die Natur durch die glaslosen Fenster und fehlenden Wände. Himmel und Erde verbunden durch die Säulen und die gotischen Fenster.
Besonders ansprechend ist auch ein Rundgang durch die grossen Ländereien der Abtei Jumièges. Vom ehemaligen Klostergarten ist allerdings nichts mehr zu sehen, denn der wich einem englischen Landschaftsgarten. Jedoch gibt es noch den Treppenaufgang zu bewundern, der zum Nutzgarten führte. Eine Abtwohnung aus dem 17. Jahrhundert erinnert an ein französisches Landhaus.
Sehr romantisch liegt die alte Bäckerei aus dem 18. Jahrhundert. Wenn du weiter läufst, führt dich der Weg zu einem künstlich angelegten Hügel mit uralten Bäumen, deren riesige Seitenäste liebevoll gestützt werden.
Immer wieder ergeben sich schöne Ausblicke auf die Abteikirche Notre-Dame und den Eingangsbereich sowie die Nebengebäude. Ein Hochzeitspaar nutzt den Nachmittag für ein Fotoshooting vor dieser einmaligen Kulisse.
Praktische Informationen
Die Abtei Jumiège liegt ebenfalls an der Strasse der Abteien. Sie ist ganzjährig, bis auf wenige Feiertage, geöffnet. Die Öffnungszeiten variieren im Jahresverlauf. Man kann die Abtei auch mit einer Führung besuchen. Im Sommer finden Konzerte statt. Die Fledermäuse gibt es offensichtlich nicht nur aus Stein. Sie leben in den Kellern und Gewölben von Jumièges und können in den Ferien auf einer Führung beobachtet werden.
Tipp: Willst du die Abtei auf eigene Faust besichtigen, kannst du dir vorher die Jumiège 3D-App aus dem App-Store herunterladen. Es gibt sie in englischer oder französischer Sprache.
Hinweis: Ganz in der Nähe findest du eine weitere Abtei auf der Strasse der Abteien. Im Kloster Saint-Wandrille leben heute noch Benediktiner-Mönche. Zu bestimmten Zeiten können aber Park, Kirchenruine und Kreuzgang besichtigt werden. Wir haben keine Zeit mehr und fahren weiter zu unserer Unterkunft in Fécamp, von wo aus wir die Alabasterküste erkunden.
Wir waren im vergangenen Sommer in der Normandie , aber diese beiden Abteien haben wir gar nicht besichtigt: schade! Aber dann habe ich schon gleich was auf der Liste für den nächsten Besuch, danke für die Tipps!
Hallo Rena,
es ist immer gut, einen Grund zu haben, um an einen Ort zurückzukehren. Gerade die ländlichen Ecken der Normandie haben uns überrascht und wir haben uns mehr als einmal gewünscht, Zeit und ein Fahrrad zu haben, um an der Seine entlangzuradeln. Meine Liste für das nächste Mal ist auch schon ganz schön lang.
Liebe Grüsse
Susan
Ganz zauberhaft! Ich liebe die Normandie, aber diese beiden Abteien kannte ich noch nicht. Setze ich mir für den nächsten Trip auf die To-See-Liste. Danke für die Inspiration und liebe Grüße, Nadine
Liebe Nadine,
die Normandie ist so gross und bietet so viele Sehenswürdigkeiten, da braucht man viel Zeit, bis man auch nur die Highlights der einzelnen Regionen gesehen hat.
Liebe Grüsse
Susan