Dawson City – ein Ort wie ein Museum
Von Carmacks nach Dawson City
In der Nacht hat es wieder geschneit und mit minus 20 Grad ist es auch frostig kalt. Als wir in Carmacks starten, ist die Strasse nach Dawson City noch nicht geräumt. Schnee, der bei so kalten Temperaturen fällt, besteht aus winzigen Eiskristallen. Deshalb verhält er sich auch wie Sand. Jedes Fahrzeug zieht eine lange Schneefahne hinter sich her, die dem Gegenverkehr schlagartig jede Sicht nimmt. Die Fahrt ist wunderschön, auch weil kaum Verkehr unterwegs ist.
Direkt hinter der Brücke in Carmacks treffen wir auf diesen gelben gute Laune Truck. Im grauen Zwielicht ist er ein willkommener Farbtupfer.
Unterwegs steigt die Sonne über den Horizont und es wird heller.
Nach 117 Meilen Fahrt will der Kaffee uns verlassen. So stoppen wir kurz in Pelly Crossing zum Tanken. Auch in Pelly Crossing mit 336 Einwohnern ist die Tankstelle wie in Carcross der Mittelpunkt des Lebens. Die Tankstelle ist gleichzeitig Supermarkt und bietet auch eine Ecke mit Warmgetränken. In Pelly Crossing sind übrigens die Selkirk First Nation zu Hause.
Der Ort Pelly Crossing erstreckt sich beidseits des Yukon.
Weiter geht es nach Dawson City. Je weiter wir nach Norden fahren, umso kälter wird es. Man kann die Kälte förmlich sehen. Erfreulicherweise reisst aber auch die Wolkendecke immer stärker auf.
Sogar Baustellen gibt es unterwegs nach Dawson City. Auf dieser hier wird über mehrere Kilometer eine Brandschneise geschlagen. Die dabei gefällten Bäume werden auf grossen Scheiterhaufen verbrannt.
Auf einem geräumten Rastplatz probieren wir unser Glück bei den Plumpsklos. Sie stinken trotz der frostigen Temperaturen immer noch, sind aber mit Toilettenpapier ausgerüstet und sauber. Bei der Kälte braucht es doch eine gewisse Überwindung. Das Panorama, welches sich vom Parkplatz bietet ist einfach überwältigend. Wir nutzen die kurze Pause für einen Fahrerwechsel.
In der Nähe von Dawson City
Zwischen dem Dawson City Airport und der Stadt führt links ein Abzweig zum Klondike Goldfields Loop. Ein Schild erklärt uns, dass der Loop 76 km lang ist. Dazu haben wir nach der Strecke, die hinter uns liegt keine Lust mehr. Deshalb kehren wir um und fahren weiter nach Dawson City. In der verschneiten Landschaft lässt sich sowieso nicht so viel erkennen.
Dafür fesseln unsere Augen Schneewehen, die wie Dünen aussehen und uns stark an die Dünen der Namib erinnern, auch wenn sie nicht so hoch sind.
Kulissen kündigen dann Dawson City an.
Downtown Hotel
Bei minus 30 Grad Celcius erreichen wir unser Downtown Hotel in Dawson City. Das Checkin dauert länger, weil wir zuerst das Zimmer eines anderen Gastes bekommen. Der Fehler fällt erst auf als wir nach unserem zweiten Zimmerschlüssel fragen. Irgendwann können wir dann doch ins erste unserer beiden Zimmer in der zweiten Etage des Haupthauses ziehen.
Hintergrund für dieses Chaos ist, dass das Downtown Hotel auf der anderen Strassenseite ein Nebengebäude mit Zimmern und Jacuzzi besitzt und wir wohl ursprünglich da gelandet wären. Rund um ein Eishockey Spiel hat es aber diverse Buchungen und Absagen gegeben, so dass wir dann doch für das Haupthaus eingeplant wurden.
Also ganz wichtig, gebt bei der Buchung des Downtown Hotels im Kommentarfeld an, wenn ihr ein Zimmer im Haupthaus haben wollt. Im Winter ist dies empfehlenswert, denn dort befindet sich auch das Restaurant, die berühmte Bar, der Billiard Raum, der Souvenir Laden und die Rezeption. Das Zimmer über dem Billiard Raum sollte man besser meiden. Wir sind mitten in der Nacht noch einmal umgezogen, da der Schall der aufeinandertreffenden Billiardkugeln leider nicht von den Wänden geschluckt wird.
Der Sourtoe Cocktail
Für alle zartbesaiteten Leser die Warnung – der Souertoe Cocktail ist genau das, wonach es klingt. Es handelt sich um einen Cocktail mit einem echten, dehydrierten menschlichen Zeh.
Der erste Zeh soll einem Bergmann und Rumschmuggler namens Louie Liken gehört haben, dem in den 1920er Jahren sein erfrorene Zeh amputiert wurde. Liken bewahrte ihn zur Erinnerung in einem Glas Alkohol auf. 1973 fand Dick Stevenson das Glas mit dem Zeh und nahm ihn mit in den Sourdough Saloon. Er tauchte ihn in die Getränke derjenigen, die mutig genug waren. So entstand der Sourtoe Cocktail Club.
Man sollte es nicht glauben, diese Zehen verschwinden. Von unabsichtlich bis absichtlich verschluckt oder gestohlen, ist schon alles passiert. Deshalb wurde die Strafe für das Verschlucken des Zehs auf 2.500 Dollar erhöht.
An Nachschub von Zehen scheint es aber keinen Mangel zu geben. Die meisten Zehen werden nach medizinischen Amputationen gespendet. Zeh Nummer acht kam jedoch in einem Alkoholglas mit der Botschaft: «Tragen Sie beim Rasenmähen keine offenen Sandalen.»
Man kann den Zeh im Getränk seiner Wahl serviert bekommen. Dafür werden 8 Dollar zusätzlich zum Getränkepreis verrechnet. Wer den Zeh mit den Lippen berührt, erhält ein Zertifikat. In diesen Genuss kann man täglich zwischen 21.00 und 23.00 Uhr kommen.
Wir haben uns nicht überwunden.
Stadtrundgang durch Dawson City im Winter
Wir räumen schnell das Auto aus und beschliessen noch einen Stadtrundgang durch Dawson City zu machen, bevor die Sonne wieder verschwindet.
Irgendwie haben wir das Gefühl, in einer Filmkulisse zu wandeln. Immer der Nase nach laufen wir, wohin unsere Füsse uns tragen und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. In vielen Häusern hängen in den Fenstern Erklärungen, wer oder was früher in diesem Haus untergebracht war. So erfahren wir, dass die Gräber schon im Sommer auf Vorrat ausgehoben wurden. Da diese allerdings bei einer schweren Grippewelle nicht ausreichend waren, mussten die Toten bis zum Frühjahr gestapelt werden. Wenn die Kälte nicht so beissen würde, könnte man ewig herumstehen und lesen.
So werden wir jedoch von einem «Alchemy Café» magisch angezogen. Das Wort Alchemie trifft es ziemlich gut, wenn man etwas ratlos vor der grossen Getränkekarte über der Theke steht. Mein Bumble Bee Kaffee, der mit verschiedenen Gewürzen zubereitet wurde, ist nicht so ganz nach meinem Geschmack. Dafür schmeckt Jörgs London Fog Tee ausgezeichnet.
Die Kids sind nicht bereit für Experimente und bleiben bei einer heissen Schokolade. Das Besondere an diesem Café ist, dass es wie ein Wohnzimmer mit Büchern und Spielen eingerichtet ist. Wenn uns die Inhaber nicht 45 Minuten nach offizieller Schlusszeit rausgeschmissen hätten, würden wir wahrscheinlich immer noch dort sitzen und uns durch die Bücher und Zeitschriften blättern. Das Alchemy Cafe betreibt auch ein B & B.
Dawson City und der Goldrausch
Dawson City liegt 240 km südlich vom Polarkreis. Sie ist die legendäre Goldgräberstadt am Zusammenfluss von Yukon und Klondike. Einst wurde der Ort von den First Nations als Lagerplatz und zum Fischen in den Sommermonaten genutzt.
Gegründet wurde der Ort zu Beginn des Goldrausches 1896. Am 17. August 1896 stiessen George Carmack und Skookum Jim Mason am heutigen Bonanza Creek auf Gold. Der grosse Ansturm auf Dawson erfolgte aber erst, nachdem 1897 zwei Dampfschiffe mit erfolgreichen Goldsuchern und viel Gold (S.S. Portland und Excelsior) nach Amerika zurückkehrten.
Am 17. Juli 1897 kam der Dampfer Portland mit 68 Goldsuchern und einer Ladung von «mehr als einer Tonne massivem Gold» in Seattle an. Die Zeitungen überschlugen sich.
Der Examiner machte am 18. Juli 1897 mit der Schlagzeile auf «Reports of a far-away land, where the earth seems to be lined with gold» (Berichte von einem entfernten Land, wo die Erde mit Gold bedeckt zu sein scheint). Die Zeitung berichtet später von Hunderten von Glücksjägern, die nordwärts eilen, und von Dampfschifffahrtsgesellschaften, die über grosse Nachfrage nach Transportmöglichkeiten berichten.
Die mediale Aufmerksamkeit führt dazu, dass sich zwischen 1897 und 1900 ungefähr 100.000 Menschen auf den beschwerlichen Weg in die unerforschte und schwer zugängliche Wildnis begeben. Wieviele davon auf dem Weg nach Dawson City ihr Leben verloren, ist unbekannt, denn eine offizielle Statistik gibt es nicht. Die Reise wurde dadurch erschwert, dass die kanadische Regierung verfügte, dass jeder Lebensmittelvorräte für ein Jahr mit in den Yukon bringen musste. Einen guten Eindruck von der Zeit damals bekommen wir später im MacBride Museum in Whitehorse.
Nach dem Goldrausch
Dawson City wuchs kurzzeitig bis auf 40.000 Einwohner an und war Hauptstadt des Yukon Territory, welches sich 1998 vom Northwest Territory abspaltete. Der Boom hielt ungefähr zwei Jahre an. Dann wurde im Nordwesten Alaskas Gold gefunden und mindestens 8.000 Goldwäscher verliessen alsbald die Stadt.
Heute hat Dawson City ca. 1.400 Einwohner. Der Tourismus ist zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden. Gold wird mit grossen Maschinen geschürft und nicht mehr in Pfannen gewaschen. Die Grundlage einiger Vermögen heutiger Berühmtheiten wurde direkt oder indirekt durch den Goldrausch begründet (Guggenheim, Trump).
Wir sind mit den Geschichten «Ruf der Wildnis», «Wolfsblut» und «Der Seewolf» von Jack London aufgewachsen. Auch er nahm den beschwerlichen Weg über den Chilkoot Pass und fuhr 600 km mit der «Bell of the Yukon» auf dem Yukon nach Dawson City. Als Goldsucher war er zwar nicht erfolgreich, aber seine Erlebnisse am Yukon konnte er nach seiner Rückkehr nach Kalifornien schriftstellerisch in Gold verwandeln.
Bekannter ist in Kanada allerdings Robert W. Service, der Songs, Balladen und Gedichte verfasste, wenn er nicht gerade als Bankangestellter arbeitete. Im MacBride Museum treffen wir auf seine Ballade «The Cremation of Sam McGee» und die Original Hütte mit der Geschichte hinter der Ballade von Sam McGee. Leider gibt es keine deutschen Ausgaben von Robert W. Service «Songs of a Sourdough» Gedichteband.
Dawson City sieht heute beinah noch so aus wie um das Jahr 1900 herum. Das ist wohl auch der Grund, warum wir das Gefühl hatten, in einer Filmkulisse zu wandeln. Immer in der dritten Augustwoche wird Dawson’s Stadtgeschichte mit dem Discovery Day (17. August) mit großen Umzügen und viel Trubel gefeiert.
Auch im Winter ist Dawson City eine Reise wert. Für uns, die wir in moderner Hightec Kleidung frieren, ist es kaum nachzuvollziehen, wie die Leute damals die Winter hier überlebt haben.
Links zu weiteren Berichten von unserer Kanada Reise:
Yukon im Winter erleben – eine verrückte Idee?
Ein Tag in Whitehorse bei schönstem Winterwetter
Yukon Quest – Zieleinlauf in Whitehorse
Atemberaubende Schneelandschaften im Tombstone Territorial Park