Dolce Vita und Geschichte in Poschiavo

Ein überraschend entspanntes mediterranes Lebensgefühl erwartet uns in Poschiavo, nachdem wir von unserem Ausflug zum Gletschergarten in Cavaglia wieder im Tal gelandet sind. Wir flanieren über die Piazza und geniessen einen grossen Eisbecher, bevor wir auf Entdeckungsreise in die Vergangenheit eintauchen. In diesem Beitrag nehme ich dich mit zu den Häusern der Zuckerbäcker. Auch kannst du einen Blick in eines der ältesten Bauernhäuser im Alpenraum, die Casa Tomé werfen. Du erfährst etwas über die Geschichte von Armut, Auswanderung und Reichtum, denn das ist die Geschichte von Poschiavo, die auch in der informativen Ausstellung im Palazzo de Bassus-Mengotti thematisiert wird.

Also lass dich inspirieren und mach dir selbst ein Bild und geniesse das süsse Leben in Poschiavo.

Die Piazza von Poschiavo wird eingerahmt von wunderschönen pastellfarbenen Palazzos und Restaurants und Cafés mit roten und weissen Sonnenschirmen. Wie sich wohl diese Häuser von den Häusern der Zuckerbäcker unterscheiden?Die Piazza von Poschiavo wird eingerahmt von wunderschönen pastellfarbenen Palazzos und Restaurants und Cafés mit roten und weissen Sonnenschirmen.
Die Piazza von Poschiavo.

Bummel durch Poschiavo

Von der Piazza aus bummeln wir kreuz und quer durch Gassen. So entdecken wir die Häuser der Zuckerbäcker und auch die Casa Tomé. Gleich zu Beginn unseres Bummels fällt uns aber der markante romanische Kirchturm der Kirche San Vittore Mauro im Zentrum von Poschiavo ins Auge.

Der romanische Kirchturm der Kirche San Vittore Mauro in Poschiavo passt so gar nicht zum Rest der Kirche mit gotischen Fenstern.
Romanischer Kirchturm der Kirche San Vittore Mauro

Auf der Suche nach dem Eingang der Kirche kommen wir zuvor am Sant’Anna Beinhaus vorbei. Hier werden die Gebeine aufgehoben, die man bei der Renovierung der Kirche unter dem Fussboden fand. Allerdings ist das Beinhaus geschlossen.

Oratrorium Sant'Anna Beinhaus - dieses Gebäude ist orange, hat einen Vorbau, der von vergitterten Bögen, die von Säulen getragen werden.
Oratrorium Sant’Anna Beinhaus

Ebenfalls in Orange gehalten ist das alte Augustinerinnen-Kloster mit dem aufgesetzten Turm auf der Kapelle. Heute scheint ein Altersheim im Kloster untergebracht zu sein.

Blick zurück auf das Augustinerinnen-Kloster in Poschiavo, welches sich am Ende einer schmalen Gasse mit hohen Mauern befindet.
Blick zurück auf das Augustinerinnen-Kloster

Bevor wir die Strasse mit den Häusern der Zuckerbäcker erreichen, kommen wir an typischen Engadiner Häusern genauso wie an Villen mit grossen Gärten vorbei.

Schön renoviertes Engadiner Haus in Poschiavo. Engadiner Häuser haben dicke Mauern und Torbögentüren.
Schön renoviertes Engadiner Haus in Poschiavo
Diese Villa in Poschiavo wird privat bewohnt und erinnert an einen Palazzo. Der Garten liegt erhöht von der Strasse und wird durch eine Mauer gestützt und einen dekorativen schmiedeeisernen Zaun geschützt.
Diese Villa in Poschiavo wird privat bewohnt

Die Häuser der Zuckerbäcker von Poschiavo – eine Geschichte von Auswanderung

Auswanderung gehörte zum harten Leben im Puschlav. Die mangelnden wirtschaftlichen Ressourcen lassen die Bewohner ihr Glück anderweitig suchen. Hier spricht man auch vom «Hunger der Berge». Ob nun als Kaufleute, Handwerker oder Söldner, vor allem im 19. Jahrhundert mussten viele Puschlaver wie auch andere Graubündener auswandern.

Einige der erfolgreichen Auswanderer waren ausgebildete Zuckerbäcker (Konditoren). Oder sie hatten sich auf das Geschäft mit Kaffee und Spirituosen spezialisiert. Sie eröffneten in zahlreichen europäischen Ländern, aber auch in Australien, Nord- und Südamerika «Schweizer Cafés». Erst der Erste Weltkrieg, die Russische Revolution und der Spanische Bürgerkrieg setzten dieser Bewegung ein Ende.

Die Via dei Palazzi in Poschiavo mit den Häusern der Zuckerbäcker. Die Farben rosa, weiss und grau herrschen vor, auch wenn andere Pastellfarben zum Einsatz kommen. Ein Haus ist aufwändiger gestaltet als das nächste. Die Gärten der Häuser liegen durch eine Strasse getrennt von den Häusern.
Die Via dei Palazzi in Poschiavo mit ihren sogenannten Zuckerbäckerhäusern.

Manche dieser Puschlaver Auswanderer brachten es schliesslich im Ausland durch harte Arbeit und unternehmerisches Geschick zu beträchtlichem Wohlstand. Sie stellten ihren Reichtum zu Hause zur Schau, indem sie am südlichen Dorfrand von Poschiavo prächtige Villen erstellen liessen. Man nennt sie die Häuser der Zuckerbäcker.

Die Stuckverzierung der Häuser erinnert an die Tätigkeit ihrer Bewohner als Zuckerbäcker. Dieses Haus in Poschiavo hat schattenspendende Arkaden in beiden Geschossen.
Die Stuckverzierung der Häuser erinnert an die Tätigkeit ihrer Bewohner als Zuckerbäcker

Die Via dei Palazzi ist eine etwa 120 Meter lange Reihe von Häusern im neoklassizistischen Stil. Alle Häuser sind nach Süden ausgerichtet. Auf der anderen Seite der schmalen Strasse liegen die Gärten und Pavillons, die teilweise liebevoll bewirtschaftet sind.

Dieser Garten, welcher zu einem der Häuser der Zuckerbäcker gehört, hat einen hübschen achteckigen Pavillon und Gemüsebeete und Blumen. Durch Hecken entsteht der Eindruck von unterschiedlichen Räumen.
Beispiel für einen hübschen Garten

Das einheitliche Bild dieses heute unter Denkmalschutz stehenden Ensembles ist dabei dem damaligen Gemeindepräsidenten von Poschiavo – Tomaso Lardelli – zu verdanken. Er plante die ersten Häuser im Auftrag von ausgewanderten Verwandten mit dem venezianischen Architekten Giovanni Sottovia. In der Folge wurden die Häuser ab 1856 realisiert.

Von den Häusern der Zuckerbäcker führt uns unser Weg als Nächstes zur Casa Tomé. Hier wird das harte Leben der in den Bergen so richtig deutlich.

Casa Tomé – ein Bauernhaus mit über 600 Jahren Geschichte

Das Gegenteil einer Villa ist die Casa Tomé. Es ist eines der besterhaltenen Bauernhäuser im gesamten Alpenraum. Der älteste Teil des Hauses wurde bereits während des Mittelalters erbaut. Er wird auf das Jahr 1357 datiert. Seit der Erbauung des Hauses hat es diverse Anbauten gegeben. Diese folgten der wirtschaftlichen Entwicklung des Tals und den Bedürfnissen seiner Bewohner.

Die Casa Tomé sieht von aussen aus wie ein unverputztes Engadiner Haus. Fenster in den dicken Mauern gibt es wenige. Hinter dem Bogenfenster befindet sich die Küche - Poschiavo
Die Casa Tomé von aussen. Hinter dem Bogenfenster befindet sich die Küche

Für uns unvorstellbar sind allerdings die Lebensumstände der Schwestern, die in diesem Haus bis 1990 lebten. Wer das Haus heute besucht, findet es so vor, wie sie es vorher verlassen haben.

Spartipp: Da zum Puschlaver Talmuseum sowohl die Casa Tomé als auch der Palazzo de Bassus-Mengotti gehören, kannst du beide Häuser mit einem Eintritt besuchen. Allerdings sind die Museen nur saisonal geöffnet. Die geltenden Öffnungszeiten und Informationen über Führungen findest du auf der Website.

Rundgang durch die Casa Tomé

Durch den Torbogen gelangt man zuerst in den gedeckten Innenhof. Von dort geht es auf einer Treppe zu den Wohnräumen nach oben. Die Tiere gehen durch den Innenhof in den Stall. Ebenso erreicht man Garten, Scheune und Werkstatt über den Innenhof. Dies scheint charakteristisch für Bauernhäuser des 17. und 18. Jahrhunderts in dieser Gegend zu sein.

Der gedeckte Innenhof, den man durch den grossen Torbogen der Casa Tomé erreicht, hat einen mit grossen Steinen gedeckten Boden. Holztreppen führen nach oben. Heurechen warten auf ihren Einsatz. Die Decke ist niedrig.
Der gedeckte Innenhof, den man durch den grossen Torbogen der Casa Tomé erreicht.

In der Casa Tomé gibt es heute zwei Küchen, da zwischen 1750 und 1850 zwei Familien das Haus bewohnten. Ursprünglich nahm die Küche mit der offenen Feuerstelle das gesamte erste Stockwerk des mittelalterlichen Hauses ein. Die zweite Küche ist inzwischen etwas moderner. Dort stehen nebeneinander ein noch anzufeuernder, ein elektrischer Kochherd von circa 1920 und ein etwas neuerer, aber dennoch musealer Kochherd. Strom und fliessend kaltes Wasser sind der einzige Luxus im Haus.

Die alte Küche der Casa Tomé hat eine offene Feuerstelle, über der ein grosser Kessel an einem Schwenkarm hängt. Eine kleine Vertiefung in der Mauer dient als Regal für Töpfe. Ein Holztisch ist Arbeits- und Ablagefläche.
Die alte Küche mit der offenen Feuerstelle in der Casa Tomé,

In der Vorratskammer steht der Brotofen. Weshalb hier die Brote trocken und mäusesicher von der Decke hängen. Diese mit Anis gewürzten Ringbrote werden in Poschiavo bis heute gebacken. Die Bewohner waren Selbstversorger. Sie bestellten einige Felder ausserhalb des Dorfes mit Kartoffeln, Roggen und Gerste.

Unterhalb der Decke hängen an Stangen die Brotkringel in der Casa Tomé in Poschiavo
Diese Brote wurden mehrmals im Jahr gebacken und getrocknet
Ein Gestell mit Brettern ist dafür da, die Brote vor dem Backen gehen zu lassen, bevor sie in den Brotofen der Casa Tomé kommen.
Auf den Brotbrettern lässt man die geformten Ringbrote noch einmal gehen, bevor sie in den Brotofen kommen.

Die beiden Stuben im Haus wurden erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts getäfert und mit einem Ofen ausgestattet. Später wurden dann noch elektrische Leitungen verlegt. Sie dienten als Wohn- und Schlafzimmer.

Wohnstube in der Casa Tomé besteht komplett aus Holz und ist sehr spartanisch mit Bett, Schrank und Tisch ausgestattet.
Wohnstube in der Casa Tomé

Das Haus wirkt bedrückend auf uns. Insofern sind wir froh, als wir wieder im warmen Sonnenlicht stehen. Es ist fast so, als ob man die Mühsal seiner Bewohner noch aus jeder Ritze heraus spüren kann.

Geschichte und Geschichten im Palazzo de Bassus-Mengotti

Der Palazzo wird im Jahr 1655 von Hauptmann Tommaso de Bassis in Auftrag gegeben. Er steht auf dem rechten Flussufer und nimmt somit eine Sonderstellung zum Dorf ein. Tommaso de Bassis war ein wichtiger Politiker. Finanzielle Schwierigkeiten zwangen jedoch seinen Sohn, das Haus zu verkaufen. Dadurch gelangte es in den Besitz der Familie Mengotti. Diese baute das Haus mehrfach um und erweiterte es.

Geschickte Heiratspolitik führte zur Vermehrung des Reichtums. Im Museum hängen die Porträts und Stammbäume der Besitzer des Hauses.

Der Palazzo de Bassus-Mengotti, Poschiavo
Der Palazzo de Bassus-Mengotti, Poschiavo

Heute gehört der Palazzo zum Talmuseum in Poschiavo genauso wie die Casa Tomé.

Ausstellungen im Palazzo de Bassus-Mengotti

Im Moment ist eine temporäre Ausstellung der Hexenverfolgung gewidmet. Das Puschlav war eine kleine, sich selbst verwaltende Republik mit eigener Gerichtsbarkeit. Erste Hinweise auf den Tatbestand der Hexerei gibt es bereits Mitte des 16. Jahrhunderts. Erst hundert Jahre später wird der Tatbestand der Hexerei in den lokalen Gesetzen verankert. Folterung zur Erzwingung von Geständnissen war die Regel. Mindestens 130 Menschen wurden wegen Hexerei verurteilt.

Ein weiterer sehr interessanter Schwerpunkt ist das Thema Auswanderung.

Mit Bildern, Texten, Koffern und Taschen wird das Thema Auswanderung im Palazzo de Bassus-Mengotti in Poschiavo lebendig.
Mit Bildern und Texten und wird das Thema Auswanderung im Palazzo de Bassus-Mengotti lebendig.

Neben den Ausstellungen ist natürlich auch das Innere des Hauses interessant zu besichtigen. Das Haus hat eine eigene geweihter Kapelle.

Weiterhin haben hier etruskische Keramik und Ritualgegenstände aus Indien eine Heimat gefunden. Überdies wird auch die Geschichte von M 13 erzählt. Ausgestopft, soll er jetzt Touristen anziehen.

M 13 wurde als Problembär 2013 in der Schweiz geschossen, nachdem er sich zu oft zu nah an Siedlungen aufhielt. Das ausgestopfte Tier wird im Palazzo de Bassus-Mengotti in einer Illusion von Bergwelt präsentiert.
M 13 wurde als Problembär 2013 in der Schweiz geschossen, nachdem er sich zu oft, zu nah an Siedlungen aufhielt.

Alles in allem ist das Museum sehr vielfältig und lohnt durchaus einen Besuch. Fällt dein Besuch in Poschiavo auf einen Mittwoch, solltest du noch die Besichtigung der Mühle Aino mit Sägerei und Schmiede in Erwägung ziehen.

Tipp: Neben dem Palazzo de Bassus-Mengotti befindet sich eine Bäckerei, in der man sehr leckere Puschlaver Spezialitäten kaufen kann.

Aussicht in Miralago

Hast du noch Zeit, könntest du noch einen Abstecher nach Miralago machen. Wir beenden dort unseren heutigen Tag. Miralago liegt am anderen Ende des Lago di Poschiavo. Von dort hat man einen herrlichen Blick über den See und auf die Berge. Das kleine Dorf besteht nur aus einem Bahnhof und ein paar Häusern am See. Parken kann man ausserhalb. Wirfst du einen Blick nach oben, siehst du die Kirche San Romerio, zu der man auch wandern könnte.

Der Lago di Poschiavo von Miralago aus gesehen. Fast scheint es als würde der See den gesamten Talboden einnehmen. Die Bahnlinie und Strasse führen oberhalb am Hang entlang.
Der Lago di Poschiavo von Miralago aus gesehen.
Auf 1.800 m Höhe drohnt die Kriche San Romerio über dem Abgrund.
Auf 1.800 m Höhe thront die Kirche San Romerio über dem Abgrund.

Dir hat der Beitrag gefallen? Dann würden wir uns freuen, wenn du ihn teilst.

Wir freuen uns über Kommentare, Anregungen und Diskussionen zu unseren Beiträgen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert