Emotionen fotografieren mittels abstrakter Fotografie – ein Fotoprojekt
In dieser Fotoausstellung lade ich dich ein, mich auf eine persönliche und tiefgreifende fotografische Reise zum Thema Krebs zu begleiten. Dabei handelt es sich um den Versuch, Emotionen in sichtbare Formen zu übertragen – durch abstrakte Fotografie. Für mich war diese Arbeit mit kreativen Fotos eine Möglichkeit, den eigenen Gedanken und Gefühlen Raum zu geben, die oft schwer in Worte zu fassen sind. Ein Spannungsfeld entsteht, da die Emotionen, die beim Betrachten der Bilder ausgelöst werden, nicht immer mit meinen eigenen Empfindungen übereinstimmen. Der Interpretationsspielraum ist offen und wird stark von den Erfahrungen und Perspektiven des Betrachters geprägt; bei den Farbbildern fliesst zudem der kulturelle Hintergrund mit ein. In der abstrakten Fotografie wird die Wahrnehmung dadurch erschwert, dass Mikroausdrücke oder bekannte Szenen fehlen – Details, die das Gehirn in Sekundenbruchteilen erfasst und interpretiert.
Wie es zum Fotoprojekt «Emotionen fotografieren» kam
Die Diagnose Krebs trifft mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel, nur kurz nach Rückkehr von unserem faszinierenden Roadtrip durch Schottland. Während ich noch voller Erinnerungen bin, wird mir unvermittelt die Fragilität des Lebens bewusst. Auch, wenn die Zeit scheinbar stillsteht, tickt die Uhr unaufhörlich und ich beginne meine Umwelt mit anderen Augen zu sehen.
Ich schreibe und beobachte. Alles kommt mir surreal vor. Passiert das wirklich mir? Ich bin unglaublich wütend. Warum ich? Weshalb jetzt, wo wir doch so viele Pläne haben und uns vermehrt auf Zeiten zu Zweit freuen können?
Wut auf das Schicksal und Verletztheit gehen Hand in Hand.
Eigentlich müsste ich die Welt in Scherben fotografieren, um die eigene Zersplitterung zu zeigen. Ich wollte jedoch Emotionen mittels abstrakter Fotografie fotografieren. Also versuche ich die Zerrissenheit anders in kreativen Fotos einzufangen.
Gleichzeitig erwacht ein trotziger Widerstand in mir: Ich lasse mich nicht unterkriegen. Es wäre schön gewesen, wenn es irgendwann im Leben einmal leicht gehen würde, aber vielleicht lernt man so die Dinge mehr zu schätzen, die man hat. Ich suche mir eine kreative Aufgabe und buche die Kreativzeit, einen Fotokurs von Kate Fish (absolute Empfehlung). Dieser Kurs begleitet mich ein halbes Jahr durch die anstrengende Zeit der Krebsbehandlung. Im Rahmen dieses Fotokurses bekommen wir die Aufgabe, ein kreatives Fotokonzept zu erstellen und umzusetzen.
«Kreatives Konzept: Etwas erschaffen, was für dich neu oder originell (neue Technik, neue Erzählweise, neue Motive, neues Thema …) und dabei nützlich oder brauchbar ist.»
Sich seinen Emotionen fotografisch im Rahmen eines zeitlich begrenzten Fotokonzeptes zu stellen, kristallisiert sich nach und nach als mein kreatives Konzept heraus. Es ist in vielerlei Hinsicht herausfordernd und absolut neu für mich, auch wenn ich mich früher schon in kreativen Fototechniken probiert habe.
Wie fotografiert man Emotionen?
Durchforstest du das Internet nach Begriffen wie emotionale Fotografie oder zum Thema Gefühle fotografieren, wirst du immer in irgendeiner Form auf die Fotografie von Menschen kommen. Nun bin ich kein Fan von Selbstporträts. Das bringt mich auf die Idee zu versuchen, Emotionen mittels abstrakter Fotografie einzufangen. Aus einer Vielzahl von Definitionen von abstrakter Fotografie, hier mal die, wie ich sie verstehe.
Abstrakte Fotografie bildet Formen, Farben, Muster und Strukturen ab, ohne dass sich deren Herkunft unbedingt erschliesst. Das Ziel ist es, den Betrachter von der realen Welt zu lösen, um ihm die Möglichkeit zu geben, den Emotionen nachzuspüren, die ein Bild bei ihm auslöst.
Kreative Fototechniken wie Mehrfachbelichtungen und Intentional Camera Movement (ICM) können dabei auf besondere Weise Emotionen wecken, indem sie gewohnte Sehgewohnheiten durchbrechen und Bilder intuitiver erlebbar machen.
So entstehen bei Mehrfachbelichtungen, der Verschmelzung mehrerer Bilder, oft surreale Szenen mit mehrschichtigen Bedeutungen. Mit ICM löst man Konturen auf und bringt Unschärfe und Verzerrungen in ein Bild.
Eine Kombination aus beiden Techniken kann zu sehr komplexen und vielfältigen und kreativen Bildern führen.
Sich selbst entdecken durch die Kamera
Die Geschichte meiner Genesung fängt damit an, dass die Welt Kopf steht.
Immer wieder geistert mir der Buchtitel: «Wer bin ich, und wenn ja wie viele?» durch den Kopf. Wer bin ich also? Klar ich bin ich, die Weltentdeckerin, die Abenteurerin, die Gärtnerin, die Köchin, die Bloggerin und gleichzeitig Schwester, Tochter, Freundin, Ehefrau, Mutter. Nur im Moment bin ich alles und nichts von dem. Ich bin Patientin, wodurch sich Grenzen verschieben und Rollen neu interpretiert werden. Es ist wie ein Leben in einer Zwischenwelt. Das Leben in der Krankheit zu finden, ohne die eigene Essenz zu verlieren, ist schwer.
Die Sehnsucht nach dem Abenteuer und der fernen Welt bleiben, aber ich fühle mich begrenzt durch den Rhythmus der Chemotherapien und ihrer körperlichen Auswirkungen. Die Seele will Abenteuer erleben.
So vergehen die Wochen. Ich hake eine nach der anderen Chemotherapien ab, altere im Schnelldurchlauf. Erst habe ich von Mal zu Mal die Last des Fotorucksacks reduzieren müssen, aber am Ende bin ich froh, mich selbst und die Kamera zu tragen. Das Ende der Chemo ist absehbar und die OP Planung steht an. Da ich für eine Studie infrage käme, möchte man mich davon überzeugen. Anfangs gibt es nur die Studie oder herkömmliches Verfahren – es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera. In dieser Zeit entstehen viele Bilder, die den richtigen Weg suchen.
Es ist als würde ich unter Wasser gezogen oder vor einer unüberwindlichen Wand stehen. Die Farbe des Bildes erinnert mich an die Gletscherspalten des Perito Moreno Gletschers. Es ist, als wäre das in einem anderen Leben gewesen.
Es dauert und kostet mich viel Kraft, einen dritten Weg zu finden, aber dann fühlt es sich an, als hätte ich die Ketten gesprengt. Mut und Zuversicht kehren ins Leben zurück.
Nach der OP ist klar, es war der richtige Weg, denn ich bin krebsfrei. Dennoch soll ich mich noch einer Bestrahlung unterziehen. Der Bauch sagt nein, der Kopf macht einen Deal – drei Wochen statt fünf. Mit jeder weiteren Bestrahlung wird es unerträglicher. Die Hitze im Inneren wie im Äusseren lassen den Schmerz explodieren.
Die Zeit vergeht schnell, wenn man sich von Meilenstein zu Meilenstein hangelt.
Das kreative Fotoprojekt, Emotionen mittels abstrakter Fotografie zu fotografieren endet abrupt, als mir auch noch die zweite bereits angerissene Sehne in der rechten Schulter endgültig reisst und ich damit die Kamera nicht mehr heben kann. Inzwischen ist die Schulter operiert und ich versuche fleissig, ihre Funktion wiederzuerlangen. Leider dauert es noch, bis ich wieder fotografieren kann.
Dies ist meine zweite Fotoausstellung. Sie dokumentiert eine Reise der anderen Art. In der ersten Ausstellung ging es um die Schönheit in der Vergänglichkeit. Fotoinspirationen findest du auch in den Ideen für die Herbstfotografie.
Ganz tolle Bilder sind da entstanden. Ich freue mich natürlich besonders, dass die Kreativzeit den Anstoß und auch die Gemeinschaft für solch ein Fotoprojekt gegeben hat. Aber du hast darüber hinaus noch viel mehr daraus gemacht. Eine rundum gelungene Ausstellung.
Die Kate
Hallo Kate,
danke für den Anstoss in der Kreativzeit, auch wenn ich mich anfangs mit dem Konzept sehr schwergetan habe. Aber man wächst ja an den Aufgaben. Ich hoffe, dass ich mit meiner Schulter bald wieder zur Kamera greifen darf.
Liebe Grüsse
Susan