Nantes – Stadt der Kontraste: Zwischen Kunst, Wasser und urbanem Wandel
Selten hat uns eine Stadt so überrascht wie Nantes. Zwischen Loire und Erdre gelegen, zeigt sie sich grün, kreativ und voller Energie. Die sechstgrösste Stadt Frankreichs erfindet sich neu – ohne zu vergessen, was war. Alte Werften verschwinden und machen Platz für eine aufregende Mischung aus alt und neu, aus Kunst und urbanem Lebensgefühl. Zahlreiche Sehenswürdigkeiten warten in Nantes darauf, entdeckt zu werden. Besonders spannend fanden wir die Île de Nantes, wo man den Wandel hautnah erlebt. Verbunden sind die Sehenswürdigkeiten durch eine grüne Linie. Doch nicht nur die Stadt selbst fasziniert, auch der Parcours Estuaire, der Nantes mit der Mündung der Loire und Saint-Nazaire verbindet, ist ein faszinierendes Erlebnis aus Natur und Kunst.
Nantes ist eine Stadt, die pulsiert und das auch am Wochenende, wenn alle öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos genutzt werden können. Lass dich von Nantes und Umgebung verzaubern und begleite uns auf unseren Streifzügen durch die Geburtsstadt von Jules Vernes bei mittelprächtigem Wetter.
Stadtbummel in Nantes – auf der grünen Linie und daneben
Nantes war einst die Hauptstadt der historischen Bretagne. Im Jahr 1941 wurde die Stadt jedoch administrativ von der Region getrennt und gehört seither nicht mehr zur Bretagne, sondern zur Region Pays de la Loire. Das zeigt sich auch am Parcours Estuaire. Er beginnt auf der Île de Nantes und führt bis nach Saint-Nazaire. Entlang der Loire verbindet er Orte, Kunstwerke und Landschaften – eine andere Linie quer durch die Region.
Trotz der politischen Trennung ist die bretonische Identität in Nantes noch immer spürbar. Sie zeigt sich in Namen, Symbolen und Erinnerungsorten. Auch das Château des Ducs erinnert an diese Vergangenheit.
Im 18. Jahrhundert wurde Nantes zur wichtigsten Hafenstadt Frankreichs. Der wirtschaftliche Aufstieg prägte das Stadtbild. Heute begegnet man hier einer Stadt, die Altes bewahrt und sich doch immer wieder neu erfindet. Genau das macht Lust auf einen Stadtbummel – vorbei an spannenden Fassaden.


Die Kathedrale Saint-Pierre et Saint-Paul
Unser Stadtbummel beginnt an der Erdre, die still unter Brücken hindurchfliesst und als Spiegel für die Umgebung dient. Wir wohnen in einer Ferienwohnung direkt am Wasser mit Blick auf die Kathedrale von Nantes.

Bereits auf dem Weg zur Kathedrale taucht die grüne Linie erstmals beim Überqueren einer Strasse auf. Wir folgen ihr nicht, aber sie erfreut uns, wenn wir ihr begegnen. Wir nähern uns der Kathedrale, die den Aposteln Peter und Paul gewidmet ist, durch die Porte Saint-Pierre. Dieses alte Stadttor ist ein gut erhaltener Rest der mittelalterlichen Stadtbefestigung von Nantes.

Hell leuchtet die bereits restaurierte Fassade der Kathedrale. Seit dem verheerenden Brandanschlag im Juli 2020 wird sie innen und aussen restauriert und ist für Besucher geschlossen. Die Kathedrale mit ihren charakteristischen quadratischen Doppeltürmen ist eines der bedeutendsten Werke der Spätgotik in Frankreich. Sie wurde ab 1434 errichtet und über Jahrhunderte hinweg erweitert.

Das Château des Ducs de Bretagne – Wehrhaftes Aussen, elegantes Herz
Nur wenige Schritte von der Kathedrale entfernt gehört das Château des Ducs de Bretagne zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten in Nantes. Von aussen wirkt es wie eine klassische Festung mit den dicken Mauern, dem Wassergraben und den Türmen. Der Wehrbau hat seinen Ursprung im späten 15. Jahrhundert. Herzog François II. liess die Anlage errichten, um die Unabhängigkeit der Bretagne gegenüber dem französischen Königshaus zu verteidigen.

Doch wer das Tor durchschreitet, wird überrascht vom hellen Innenhof und den filigranen Gebäuden im italienischen Renaissance-Stil. Zu verdanken ist dies Anne de Bretagne, der Tochter von Herzog François. Als Kind hier aufgewachsen, liess die zweimalige Königin von Frankreich das Schloss zu einem höfischen Repräsentationsbau umbauen. Mehr zu Anne de Bretagne erfährst du im Abschnitt «Schloss Blois – Macht und Architektur im Spiegel der Zeit«.

Heute befindet sich das Historische Museum im Château des Ducs de Bretagne. Auch ohne Museumsbesuch lohnt sich ein Rundgang: Der Innenhof ist frei zugänglich, und der Spaziergang über die Wehrgänge bietet schöne Ausblicke auf den Innenhof und die Stadt.
Passage de Pommeray – eine besondere Einkaufspassage
Sie gilt als eine der schönsten überdachten Einkaufspassagen in Frankreich. Eine monumentale Treppe verbindet die drei Ebenen und überwindet 10 Höhenmeter. Die Passage ist reich verziert und galt mit ihrer Glasüberdachung 1843, als sie fertiggestellt war, als Symbol für Moderne. Seit 1976 steht sie unter Denkmalschutz.


Wir schlendern vom Chãteau des Ducs de Bretagne kommend durch die Altstadt, um zu dieser Sehenswürdigkeit von Nantes zu kommen. Schmale Gassen, breite Plätze wie der Place Royale mit seinem Brunnen, Streetart – es gibt viel zu entdecken und manchmal treffen wir die grüne Linie.


Île de Nantes – von Maschinen, Kränen und neuen Ideen
Im 18. Jahrhundert war Nantes die bedeutendste Hafenstadt Frankreichs. Der Handel mit Zucker, Kaffee und Sklaven florierte. Etwa die Hälfte aller französischen Sklavenschiffe lief in Nantes aus.
Nantes war ein zentraler Knotenpunkt im sogenannten Dreieckshandel. Schiffe verliessen die Stadt mit Waffen, Textilien und billigem Branntwein. Diese Waren wurden an der westafrikanischen Küste gegen Sklaven getauscht, die dann in die französischen Kolonien (Zuckerinseln) verschifft wurden. Auf dem Rückweg gelangten Zucker, Kaffee und Rum aus der Karibik nach Europa.
Mit der Abschaffung des Sklavenhandels und dem Aufkommen neuer Handelsrouten im 19. Jahrhundert verlor Nantes an Bedeutung. Der Schiffbau wurde zur neuen Wirtschaftskraft. Auf der Île de Nantes entstanden im Westen grosse Werften, die über Jahrzehnte das Stadtbild prägten.
Als in den 1980er Jahren auch die Werftindustrie zusammenbrach, stürzte Nantes in eine tiefe wirtschaftliche Krise. Doch ab den 1990er Jahren setzte ein Umdenken ein. Man entschied sich für nachhaltige Stadtentwicklung und förderte gezielt kulturelle Projekte. Den Wandel der Stadt kann man nirgendwo so gut beobachten, wie auf der 5 km langen und mehrere Hundert Meter breiten Île de Nantes, die von West nach Ost einen ganz unterschiedlichen Charakter hat.
Zwischen Vergangenheit und Vision – am Eingang zur Île de Nantes
Bevor du die Île de Nantes über die Pont Anne-de-Bretagne betrittst, empfehle ich dir einen Halt am Mémorial de l’abolition de l’esclavage. Am geschichtsträchtigen Quai de la Fosse, der ehemaligen Anlegestelle der Sklavenschiffe, wurde 2012 ein Mahnmal für die Abschaffung der Sklaverei eingeweiht. Entlang der Uferpromenade erinnern 1710 Glasplatten an die Namen der Schiffe, die Nantes im Rahmen des Dreieckshandels verliessen.
Unterhalb der Strasse führt ein stiller Gang entlang beleuchteter Schautafeln. Die Zitate bekannter Persönlichkeiten, die historischen Hinweise und Daten sind auf Französisch gehalten. Doch die Atmosphäre spricht für sich.

Anschliessend überqueren wir die Brücke zur Île de Nantes. Noch ist vieles Baustelle, doch in Zukunft soll hier eine neue Strassenbahnlinie die Insel erschliessen.
Sehenswürdigkeiten auf der Île de Nantes – Parc de Chantiers
Als wir über die Pont Anne de Bretagne kommen und uns orientieren, trauen wir unseren Augen nicht. Aus einer Halle kommt der Grand Eléphant direkt auf uns zugelaufen. Ein 48 Tonnen schwerer Elefant, der sich mit 3 km/h bewegt, den Rüssel hebt, trompetet und Wasser spritzt. Wir folgen ihm fasziniert eine Weile.

Der Elefant gehört zum Kunstprojekt Machines de l› Île. Zum Kunstprojekt gehört auch das Carrousel des Mondes Marins sowie die Galerie des Machines. Inspiriert wurden die Machines de l´île durch die Bücher von Jules Vernes und dem mechanischen Universum von Leonardo da Vinci und vielleicht auch vom Schiffbau.
Nicht alle Projekte können umgesetzt werden. So scheint der Arbre aux Hérons – ein 35 Meter hoher stählerner Baum, der von zwei Reihern gekrönt wird, nicht vollendet zu werden.


Der Schiffbau und Hafen ist auf der Île de Nantes überall noch gegenwärtig, wenn du der grünen Linie bis zur Spitze der Insel folgst. Aus den ehemaligen Hangars wurden alternative Restaurants wie La Cantine du Voyage mit eigenem Garten. Zahlreiche weitere Restaurants und Bars flankieren den Uferweg. Im alten Bananen Hangar ist eine Galerie eingezogen. Am Ufer der Loire siehst du in Abständen Ringe, die zum Parcours Estuaire gehören. Die 18 Ringe von Daniel Buren leuchten nachts und bieten immer wieder interessante Perspektiven.

Es gibt neben den Rampen und Hafenkränen viel zu entdecken. Dazu gehört auch Streetart.


Eine besondere Perspektive auf die Spitze der Île de Nantes bekommst du, wenn du von der Little Arctic Brewery mit dem Navibus übersetzt. Er hält direkt beim grauen Hafenkran.

Wir laufen auf der anderen Seite der Insel weiter und sehen, wie an den Gleisen zahlreiche neue Wohnviertel entstehen. Durch die schöne alte Industriehalle geht es zurück zu Les Machines.

Grüne Oasen in Nantes
118 Parkanlangen soll die Stadt Nantes haben, weshalb sie oft auch als grüne Stadt bezeichnet wird. Einer der bekanntesten Parks ist der botanische Garten «Jardin de Plants» mit seinen Gewächshäusern und mehr als 10.000 Pflanzen. Bei ihm beginnt die «grüne Linie». Wir hatten ihn auf der Liste der Sehenswürdigkeiten von Nantes, die wir anschauen wollten, aber das Wetter hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dennoch haben wir einige kleinere grüne Oasen gesehen, die ich hier kurz vorstelle.
Île de Versailles – Japanischer Garten
Wo einst Sumpf war, später unter anderem die Suzette II, ein Motorboot gebaut wurde und Handwerker ihren Berufen nachgingen, herrscht heute angenehme Ruhe. Auf der Île de Versailles – in der Erdre gelegen – entstand 1987 ein japanischer Garten.


Die Gestaltung folgt japanischen Prinzipien. Das als japanisches Teehaus konzipierte Maison de l’Erdre mit einem Zengarten in der Mitte dient als Ausstellungsraum. Leider war die Ausstellung bei unserem Besuch geschlossen. Wasserfälle, Felslandschaften, Brücken und bewusst ausgewählte Pflanzen machen den japanischen Garten zu einem besonderen Ort.

Im Sommer locken ein Restaurant und der Bootsverleih zum Verweilen.
Einen der schönsten japanischen Gärten Europas findest du im irischen Nationalgestüt. Im dortigen Beitrag habe ich über den Balanceakt zwischen Absicht und Zufall im japanischen Garten geschrieben und über die Elemente, die einen japanischen Garten ausmachen.

Jardin Extraordinaire
Ein ehemaliger Steinbruch ist die Kulisse für einen aussergewöhnlichen öffentlichen Park. Das besondere Mikroklima im Steinbruch ermöglicht es exotischen Pflanzen, zu wachsen. Die Bepflanzung des Gartens ist dem Jules Vernes Buch «Die geheimnisvolle Insel» nachempfunden.
177 Treppenstufen führen entlang der Steinbruchkante nach oben. Hauptmerkmal des Jardin Extraordinaire ist der weithin sichtbare Wasserfall, der von oben runterfällt – nur am Tag unseres Besuchs nicht. Dennoch war der Besuch des Gartens spannend. Momentan wird der Garten noch erweitert.


Tipp: Vom Jardin Extraordinaire ist es nicht mehr weit zur Little Atlantic Brewery, die man durchaus als Sehenswürdigkeit von Nantes bezeichnen könnte. Urig in alten Gebäuden untergebracht, werden hier mehr als 20 Sorten Bier gebraut. Ausserdem kann man dort wunderbar essen. Der Wasserbus hat eine Haltestelle direkt am Ufer der Loire bei der Brauerei.
Jungle Interieur
Was mit ein paar Blumentöpfen des Künstlers Evor im Innenhof der Passage Bouchard angefangen hat, ist heute ein üppiger Dschungel mitten in der Stadt, der bei unserem Besuch geschlossen hatte.
Cimetière Miséricorde
Ein alter Friedhof als grüne Oase in der Stadt fragst du dich jetzt? Einst war der Cimetière Miséricorde der vornehmste Friedhof von Nantes – ein Ort der Repräsentation, mit neogotischen Mausoleen, Statuen und aufwendig gearbeiteten Familiengräbern. Wer hier begraben wurde, hatte einen Namen.
Heute ist der „Père Lachaise von Nantes“ ein anderer Ort geworden. Viele Grabmale sind verwittert, Scheiben fehlen, Türen rosten. Die Zeichen der Zeit sind unübersehbar – und dennoch liegt in diesem Verfall eine stille Schönheit.

Die Natur hat sich den Ort zurückerobert. Moose und Efeu umschlingen Gräber. Vögel nisten in alten Nischen. Der Friedhof versteht sich heute auch als städtisches Biotop – ein Ort, an dem nicht nur die Toten ruhen, sondern auch das Leben Wurzeln schlägt.

Nantes vom Wasser aus – Schiffsfahrt auf der Erdre
Da wir vis-à-vis der Schiffsanlegestelle an der Pont de la Motte-Rouge an der Erdre wohnen, bietet sich eine Fahrt auf dem Fluss geradezu an – eine entspannte Möglichkeit, mehr über die Erdre zu erfahren, die Stadt aus einer anderen Perspektive zu entdecken und gleichzeitig den müden Beinen eine Pause zu gönnen.
Die Restaurantschiffe sind zwar schon ausgebucht, doch auf dem klassischen Ausflugsschiff ergattern wir noch einen Platz. Was wir allerdings nicht einkalkuliert hatten: Während der ganzen Fahrt regnet es in Strömen und die Durchsagen an Bord erfolgen ausschliesslich auf Französisch.

Bei schönerem Wetter könnten wir vielleicht nachvollziehen, dass die Erdre als einer der schönsten Flüsse Frankreichs gilt. Sie entspringt im Département Maine-et-Loire und mündet nach rund 97 Kilometern in Nantes in die Loire. Entlang des Abschnitts, den die Ausflugsschiffe fahren, gibt es zahlreiche Schlösser zu sehen.

Mehr Informationen zur Schifffahrt: www.bateaux-nantais.fr
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Von Nantes bis ans Meer – eine Reise zur Loire-Mündung
Etwa 60 km von Nantes entfernt, mündet nach1.006 km Frankreichs längster Fluss – die Loire – in den Atlantik. Wer der Loire von Nantes aus folgt, erlebt Kunst, Industriegeschichte und Natur en passant. Im Rahmen des Kunstprojektes Parcours Estuaires lassen sich vielfältige Kunstinstallationen auf beiden Seiten der Loire entdecken. Wir fahren am südlichen Ufer der Loire bis zur Seeschlange, überqueren dann die Pont-Saint-Nazaire, bummeln durch Saint-Nazaire und folgen dem nördlichen Ufer der Loire zurück nach Nantes. Die spannendsten Stationen unseres Tagesausflugs, den ich nur empfehlen kann, stelle ich nachfolgend vor.
Trentemoult – es wird bunt
Unser Ausflug zur Mündung der Loire beginnt in Trentemoult, einem ehemaligen Fischerort. Die engen Gassen sind von bunten Häusern gesäumt. Die Farbkombinationen sind teilweise sehr gewöhnungsbedürftig. Zurück geht die Tradition auf die Fischer, die die Reste der Farben für den Bootsanstrich für ihre Häuser verwendeten.


Viele dieser Häuser wurden auf drei Ebenen gebaut, um sich an die Überschwemmungen der Loire anzupassen. Heute ist Trentemoult ein alternativer Wohnort, an dem sich viele Künstler niedergelassen haben.
Wir fahren mit dem Auto, aber Trentemoult ist auch mit dem Navibus zu erreichen.
Industriegeschichte und Kunst am Canal de la Martinière
Parallel zur Loire verläuft zwischen Le Pellerin und Frossay auf 15 km Länge der Canal de la Martinière. Er wurde zwischen 1882 und 1892 erbaut, um die Schifffahrt von und nach Nantes zu erleichtern. Versandung und Gezeiten machten die Loire für grosse Schiffe schwer passierbar. Während 20 Jahren passierten 10.000 Schiffe den Kanal. Nantes blieb als Seehafen konkurrenzfähig gegenüber Saint-Nazaire.
In der Machinerie de la Martinière in Le Pellerin wurde Dampf erzeugt, um die Schleusentore zu bewegen und die Ventile für das Befüllen und Entleeren der Schleusenkammern zu bedienen. Das Industriedenkmal kann besichtigt werden. Schautafeln und Exponate erklären die Technik.

Am Schleusenbecken trifft Technik auf Kunst. Im Rahmen des Parcours Estuaire steht dort ein Werk des österreichischen Künstlers Erwin Wurm. Ein scheinbar schmelzendes, verzogenes Segelboot neigt sich über den Schleusenrand. Der Titel Misconceivable ist ein Kunstwort, das sich ungefähr mit missverständlich oder fehlkonzipiert übersetzen lässt.

Nachdem wir uns ausgiebig umgesehen haben, folgen wir dem Kanal ans Ende.
Heute spielt er eine wichtige Rolle in der hydraulischen Regulierung der Region und dient als Rückzugsort für Flora und Fauna und ist ein beliebtes Ausflugsziel von Nantes. Wer genau hinschaut, entdeckt immer wieder Relikte aus vergangenen Zeiten.


Le Jardin Étoilé – zwischen Himmel und Erde
In Paimbœuf entstand ein lebendiges Kunstwerk im Rahmen des Parcours Estuaire – der Sternengarten. Der japanische Architekt und Künstler Kinya Maruyama liess sich vom Sternbild des Grossen Bären und den vier Himmelsrichtungen inspirieren.

Der Garten soll eine Verbindung herstellen zwischen Himmel und Erde, Mensch und Natur, Vergangenheit und Gegenwart – ein Ort, der zum Nachdenken, Spielen, Verweilen und Staunen einlädt.

Das begehbare Kunstwerk bietet schöne Ausblicke auf die Loire. Alte Schienen und die Reste alter Piers deuten es noch an, im 17. und 18. Jahrhundert war Paimbœuf ein wichtiger Hafen, der mit der besseren Schiffbarkeit der Loire und der zunehmenden Industrialisierung jedoch langsam in Vergessenheit geriet. Spannende Kunstprojekte im Rahmen des Parcours Estuaire hauchen solchen Orten wieder neues Leben ein.


Saint-Brevin-les-Pins – ein Ort des Übergangs
Saint-Brevin-les-Pins liegt am südlichen Ufer der Loire-Mündung, direkt gegenüber von Saint-Nazaire. Was dem Besucher als Erstes ins Auge fällt, ist die Pont de Saint-Nazaire – ein gewaltiges Bauwerk. Mit einer Länge von 3.356 Metern überspannt sie offiziell noch die Loire. Doch im Mündungsgebiet verschwimmen die Grenzen. Es ist nicht mehr nur Fluss, aber auch noch nicht richtig Meer. Das Wasser riecht weder nach Salzwasser noch nach Tang. Nur einige Muscheln am Strand deuten an, dass hier das Meer beginnt.

Die Pont de Saint-Nazaire ist beeindruckend, nicht nur aus der Ferne, sondern auch beim Überqueren. Sie ist noch grösser als die Pont de Normandie, die die Seine im Mündungsgebiet überspannt.
Irgendwo in der Nähe der Brücke liegt der Kilometer Null der Loire. Dass die Zählung nicht an der Quelle beginnt, hängt mit der Schifffahrt zusammen. Früher kamen die Schiffe vom Atlantik und bogen hier in den Flusslauf ein. Es lag also nahe, die Entfernungen stromaufwärts ab diesem Punkt zu messen.
Folgt man der Uferlinie, kommt man zum wohl berühmtesten Kunstwerk des Parcours Estuaire – der Serpent d’océan des chinesisch-französischen Künstlers Huang Yong Ping. An genau der Stelle, wo die Küstenlinie einen scharfen Knick macht, scheint sich die Loire endgültig dem Atlantik zu übergeben. Das Ufer beschreibt beinahe einen rechten Winkel – als hätte die Landschaft selbst entschieden, wo der Fluss endet und das Meer beginnt.


Bei Ebbe treten die Skelettelemente der Schlange fast vollständig aus dem Wasser hervor. Der Kopf der Kreatur ist in Richtung der Pont de Saint-Nazaire ausgerichtet – ein stiller, beinahe mythischer Blick über das Grenzland von Fluss, Meer, Wind und Zeit.
Saint-Nazaire – zwei irritierende Kunstwerke
Nähert man sich Saint-Nazaire über die Brücke, fährt man direkt hinein in ein Industrie- und Hafengebiet. Werften, Verladeterminals, Hafenkräne – sogar Teile von Windrädern liegen hier bereit für die Montage auf See. Es ist faszinierend zu sehen und kaum vorstellbar, dass dies einst ein einfacher Fischerort war.
Bevor man die Strandpromenade erreicht, erzählt ein hässlicher, grosser Koloss eine ganz andere Geschichte. Die Deutschen errichteten in Saint-Nazaire im Zweiten Weltkrieg einen riesigen U-Boot-Stützpunkt als Teil des Atlantikwalls. Vierzehn U-Boote konnten hier geschützt und gewartet werden. Der massive Stahlbeton trotzte selbst schwersten Bombenangriffen. Nach Kriegsende wurde der Bunker nicht gesprengt. Der Aufwand, ihn zu entfernen, galt als zu gross. Zu massiv war der Stahlbeton. So blieb er stehen. Heute wird er als Museum genutzt.

Mit einem Audioguide besichtigen wir das französische U-Boot Espadon. Schon nur bei der Besichtigung ist die Enge beklemmend. Man kann nur ahnen, wie sich ein Einsatz unter Wasser anfühlen musste.

Vom Dach des Sous Marine Espadon vis-a-vis vom grossen Bunker geniesst man eine gute Aussicht auf die Hafenanlagen und entdeckt noch ein weiteres Kunstwerk des Parcours Estuaire. Allerdings hätte nicht ein Schild auf das Kunstwerk hingewiesen, ich hätte die roten Linien auf den Dächern eher für eine mutige Industriegestaltung gehalten. Erst vom Dach aus erkennt man: Die Linien gehören zu einer Anamorphose. Nur von genau diesem Standpunkt aus fügen sie sich zu einem geometrischen Gesamtbild. Es ist ein Werk von Felice Varini.


Unser eigentliches Ziel war jedoch die Besichtigung eines anderen Kunstwerks. Für uns sind die vom Künstlerduo Daniel Dewar & Grégory Gicquel geschaffenen Skulpturen noch irritierender. Ein grosser Fuss, ein Pullover und das Verdauungssystem – vielleicht ist es kein Zufall, dass diese künstlerisch gestalteten Fragmente aus Beton unweit des riesigen U-Boot-Bunkers stehen.

Nach einem Spaziergang auf der Mole belohnen wir uns mit einem hervorragenden Eis im kleinen Restaurant La Plage. Gestärkt machen wir uns auf den Weg zu einer weiteren Station des Parcours Estuaire.

Über dem Marschland von Lavau-sur-Loire
Das Marschland im Mündungsgebiet der Loire ist eine Übergangslandschaft – geformt von Gezeiten, durchzogen von kleinen Flüssen und geprägt vom Wechselspiel zwischen Süss- und Salzwasser. Einen besonderen Eindruck von dieser Region gewinnen wir auf dem Weg zu einem weiteren Kunstwerk des Parcours Estuaire: dem Observatoire von Tadashi Kawamata.
Ein unscheinbarer Abzweig an der Strasse führt zu einem schmalen Weg. Am Rand einer Kreuzung parken bereits einige Fahrzeuge, denn weiterfahren ist nicht möglich, eine Sperre blockiert den Weg.
Wir folgen dem befestigten Pfad tief hinein ins Marschland. Anfänglich weiden noch Kühe, doch bald übernimmt das bis zu drei Meter hohe Schilf. Den oft beschriebenen Holzsteg erreichen wir erst kurz vor dem hölzernen Aussichtsturm. Von oben erkennen wir einen alternativen Zugang aus dem Ort – schade, dass wir zu früh abgebogen sind.

Vom rund sechs Meter hohen Turm öffnet sich ein weiter Blick über das Marschland bis zur Loire. Kleine Wasserläufe durchziehen das Gebiet, an ihren Ufern lassen sich mit etwas Glück Nutrias beobachten. Zum Fluss hin wächst wieder kurzes Gras. Der Wind pfeift unablässig durch das Holzgerüst. Wir bleiben nicht lange.

In der Nähe gäbe es noch einen weiteren Beobachtungsturm: das Observatoire du marais du Syl, dessen Aussichtsplattform wie ein Nest gestaltet ist. Wir verzichten auf den Abstecher und fahren weiter nach Cordemais.
Villa in den Wolken
Bevor der Tag endet, machen wir noch einen Abstecher zur Villa Cheminée von Tatzu Niishi in Cordemais. Der Weg dorthin führt vorbei an einem grossen Kohlekraftwerk – mit mehreren Gleisen, riesigen Kohlebergen und Schaufelladern, die fast an Tagebau erinnern. Zahlreiche rot-weisse Schornsteine wachsen in den Himmel. Luftlinie etwa 400 Meter entfernt ragt ein einzelner Schornstein in den Himmel. Und oben darauf: ein kleines Haus.

Das besondere an diesem Kunstwerk, man kann darin eine Nacht übernachten. Die Villa ist komplett ausgestattet und verfügt sogar über eine winzige Dachterrasse. Jeden Sonntag ist das Haus zwischen 14.00 und 17.45 Uhr für Besichtigungen geöffnet.
Für Übernachtungsanfragen ist an der Eingangstür eine Telefonnummer angegeben: +33 (0)2 40 75 75 07.
Weitere Kunstwerke des Parcours Estuaire
Mit dem Besuch des Parcours Estuaire zwischen Nantes und Saint-Nazaire neigt sich unser Aufenthalt in Nantes dem Ende zu. Auf dem Weg zu den Salzfeldern der Guérande werfen wir noch einen flüchtigen Blick auf zwei weitere spektakuläre Kunstwerke.
Das eine ist das versunkene Haus in der Loire bei Couëron. Leider wird das Ufer derzeit umgebaut, sodass nur ein Foto durch den Bauzaun möglich war. Das andere ist der Belvédère de l’Hermitage, der sich wie ein überdimensionales Holzgeflecht über die Klippe am Ufer spannt. Ich hatte ihn bereits auf dem Weg zum Jardin Extraordinaire von unten fotografiert und gehofft, wir würden noch die Zeit finden, die Aussicht von oben zu geniessen


Wir haben bei weitem nicht alle dauerhaft installierten Kunstwerke des Parcours Estuaire gesehen. Doch wer Nantes und seine Sehenswürdigkeiten im Sommer besucht, kann sich zusätzlich auf wechselnde temporäre Installationen, Performances und Ausstellungen freuen – ein spannender Kontrast zu den bleibenden Werken entlang der Loire.
Der Parcours Estuaire und die Île de Nantes mit ihrer kreativen Energie – allen voran das fantastische Kunstprojekt Machines de l´île – waren für uns echte Highlights. Und da wir in den reichlich drei Tagen, die wir in Nantes verbracht haben, längst nicht alles gesehen haben, ist eines sicher: Wir kommen wieder. Schon allein, um zu entdecken, wie sich die Stadt weiterentwickelt.
Unsere Empfehlung für Übernachtungen: Buchung über Booking.com* – grosse Auswahl und gute Storno-Optionen.
Der Link wird technisch über ein Partner-Tool bereitgestellt. Bei Buchung über unsere Links* erhalten wir eine kleine Provision – ein Dank für unsere Arbeit.
Liebe Susan,
viele französische Städte scheinen sich neu zu erfinden. Ich war zuletzt von Bordeaux sehr begeistert. Aber auch dein Bericht über Nantes klingt spannend. Vielen Dank dafür!
Liebe Grüße
Elke
Liebe Elke,
da bin ich ja schon sehr gespannt. Da wir unsere Reisepläne ändern müssen, werden wir im Herbst in Bordeaux vorbeikommen. Südamerika wird dann erst nächstes Jahr.
Liebe Grüsse
Susan