Weihnachten in Irland
Ich verbringe auch die Weihnachtszeit während meines Austauschjahres in Irland. Dies war von Anfang an von meiner Austauschorganisation so geplant, auch wenn es für meine Gastfamilie wohl erstmalig so ist, dass ein Austauschschüler über Weihnachten bei Ihnen ist. Weihnachten in Irland ist ein besonderes Fest. Damit Weihnachtsstimmung aufkommt, hat sogar die Regierung den Lockdown am 2. Dezember aufgehoben.

Die Leute haben nur darauf gewartet und sind in die wiedereröffneten Geschäfte gestürmt. An den Wochenenden haben sich lange Schlangen vor Penneys und Bershka gebildet. Einige Besonderheiten gab es in den Geschäften schon noch, so durfte man Kleidungsstücke nicht mehr anprobieren und die Anzahl der Leute war limitiert. Die Hose, die ich mir auf diese Weise gekauft habe, ist eine «Stehhose», d.h. im Sitzen ist sie sehr unbequem. Die grössere Hose wäre dann wahrscheinlich eine «Rutschhose» gewesen. Was soll’s?
Weihnachtsdekoration
Zu Weihnachten in Irland wurden die Strassen der Stadt mit leuchtenden Schleifen geschmückt und so manches Schaufenster hat sich bei der Dekoration etwas zu viel Mühe gegeben. Sie leuchteten und blinkten wie in einer Disko.

Bei meiner Gastfamilie fällt das Aufstellen des Weihnachtsbaums mit einer speziellen Fernsehsendung für Kinder zusammen. Wenn die Sendung ausgestrahlt wird, muss der Weihnachtsbaum stehen. Dieses Jahr hat man die Ausstrahlung der Sendung um eine Woche vorgezogen, was für meine Gastmutter einiges an Stress bedeutet hat. Die Sendung ist eigentlich eine verkappte Werbesendung für Geschenke. Dieses Jahr hat man sogar Werbung für die Impfung von Pfizer gemacht.
Wie bei vielen Familien kommt auch bei meiner Gastfamilie ein künstlicher Weihnachtsbaum zum Einsatz. In Irland wachsen ja auch nicht gerade viele Tannenbäume. Er sieht prachtvoll aus?

Ansonsten wird das Haus mit Tannenzweigen an den Treppengeländern dekoriert. Diese sind jeweils mit roten Schleifen behängt. An der Tür aussen hing ein Adventskranz.
Dieses Jahr hat sich meine Gastfamilie im Wohnzimmer in der Vorweihnachtszeit einen gasbetriebenen Kamin einbauen lassen. Ich liebe diesen Kamin, denn er strahlt tatsächlich Wärme aus und ich friere irgendwie immer, seit ich in Irland bin.
Am 24. Dezember ist noch nicht Weihnachten in Irland
Weihnachten in Irland wird erst am 25. Dezember gefeiert, aber grosse Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. So ist der 24. Dezember der Tag, an dem wir einen Teil der Verwandtschaft besucht haben. Meine Gastfamilie hat unglaublich viele Tanten, Onkels, Cousins und noch mehr Grosstanten und -onkel.
Wir waren bei den Grosseltern zu Besuch und auch auf dem Friedhof, um der Verstorbenen zu gedenken. An einer Messe wie sonst wohl üblich, konnten wir dieses Jahr nicht teilnehmen. Auch die Weihnachtsaufführung im Theater fiel leider wegen Corona ins Wasser.
Dafür bekamen wir bei allen Verwandten Geschenke, die aber erst am 25. Dezember ausgepackt werden dürfen. Sogar ich erhielt Geschenkpakete.

Nach dem Verwandtschaftsbesuch habe ich online dazugeschaltet mit meiner Familie zu Hause Weihnachtsgeschenke ausgepackt. Da die Schweiz ja nicht zur EU gehört, hat meine Familie nur ein kleines Paket nach Irland geschickt und die Hauptgeschenke zu Hause unter den Weihnachtsbaum gelegt.
Dass wir Weihnachten schon am 24. Dezember feiern, hat meine kleine Gastschwester sehr irritiert. Ich konnte ihr aber erklären, dass wir einfach auf der Route des Weihnachtsmanns vorher liegen. Bei uns kommt er abends und bei ihnen bringt er nachts die Geschenke.
Eine besondere Tradition ist eine Geschenkbox, die die Kinder am Vorweihnachtsabend vor dem «Insbettgehen» zur Steigerung der Vorfreude auf das eigentliche Weihnachtsfest erhalten. Und wieder war ich erstaunt, dass auch ich eine solche Box erhalten habe. In meiner Geschenkbox befand sich ein Weihnachtsschlafanzug, Kuschelsocken, Süssigkeiten und verschiedene Kakaomischungen und eine Tasse. Ab und zu gönne ich mir so eine richtige Tasse heisse Schokolade mit Marshmallows.
Mit dem Gedanken an Nachtschlaf war es vor lauter Aufregung irgendwie vorbei. Meinen Gastgeschwistern ging es ähnlich. So waren wir noch lange auf.
Der 25. Dezember
Der sogenannte St. Stephans Day, der Tag, an dem man in Irland Weihnachten feiert, beginnt früh. Schliesslich fängt der frühe Vogel den Wurm, wie es im englischen Sprichwort heisst. 6.30 Uhr werden wir geweckt und ins Wohnzimmer geleitet. Kurzzeitig weicht die Müdigkeit der Aufregung. Das ganze Wohnzimmer steht voller Geschenke. Grosse Geschenke stehen uneingepackt in ihren Kartons da, weniger voluminöse Geschenke liegen in diesen wunderschönen Geschenkboxen.
Um ehrlich zu sein, mir hat es die Sprache verschlagen. In meiner Gastfamilie macht man sich offensichtlich sehr viele und sehr teure Geschenke. Eine solche «Geschenkeschlacht» habe ich noch nie gesehen.
Vollkommen erschöpft von den unglaublich vielen Geschenken, wurde anschliessend gemeinsam gefrühstückt. Meine Gastfamilie brach nach dem Frühstück auf, um weiteren Verwandten einen Besuch abzustatten und Geschenke vorbeizubringen. Da es aber so viele Verwandte zu besuchen galt, mussten sie sich aufteilen. Jeweils ein Kind und ein Erwachsener machten sich zusammen auf den Weg und ich war froh, dass ich noch ein paar Stunden Nachtschlaf nachholen konnte, bevor am Abend das Truthahnessen anstand.
Traditionell gibt es bei meiner irischen Gastfamilie Truthahn zu Weihnachten. Ich befürchtete schon das Schlimmste und stellte es mir in etwa so vor, wie beim Erntedankfest in Amerika. Puh, Glück gehabt, es kam kein ganzer Truthahn auf den Tisch. Der Truthahn war in feine Stücke geschnitten. Dazu gab es gebratenen Schinken, Kartoffeln, Kroketten, gebackene Karotten und Käse-Blumenkohl.
Übrigens wurde gleich nach Weihnachten wieder der Lockdown in Irland verhängt. Die Schulöffnung wurde ursprünglich auf den 11. Januar verschoben. Im Moment denkt man über eine längere Schulschliessung nach. Drückt mir die Daumen, dass ich in Irland bleiben darf.
Der 6. Januar
Wie in vielen Ländern endet Weihnachten auch in Irland mit dem Dreikönigstag. Der Weihnachtsbaum muss bis zum 6. Januar stehenbleiben. Schmückt man ihn vorher ab, bringt das Unglück.

Solche Traditionen, wie das bei uns übliche Essen des Dreikönigskuchens, gibt es bei meiner Gastfamilie nicht.
Für diejenigen, die nicht wissen was ein Dreikönigskuchen ist. Der Dreikönigskuchen wird aus einem Zopfteig hergestellt. Er enthält Rosinen und ist mit Mandelblättchen und Hagelzucker bedeckt. Es gibt ihn in unterschiedlichen Grössen. Bei den grösseren Kuchen gruppieren sich mehrere Sateliten um ein Mittelteil. In einem dieser brötchenartigen Satelliten steckt ein König. Ein Kind muss immer rausgehen oder unter den Tisch krabbeln und das andere Kind deutet auf einen dieser Sateliten und fragt: «Wer soll dieses Stück erhalten?» Nachdem die Sateliten so verteilt wurden, isst man seinen Anteil am Kuchen und hofft den König zu finden.
Angeblich soll es auch goldene Könige in den Dreikönigskuchen geben. Für diese gibt es nette Preise in der Bäckerei. Auch wenn wir in all den Jahren nur weisse Könige gefunden haben, freut sich derjenige, der den König findet, wie ein kleiner König. Dieses Jahr zu Hause bin ich König in Abwesenheit gewesen.
Über meine Erfahrungen und Erlebnisse während meines Austauschjahres berichte ich in loser Folge.