Giovanni Segantini – Spurensuche in Maloja

Maloja ist der Ort am gleichnamigen Malojapass, der das Oberengadin mit dem Bergell verbindet. Giovanni Segantini hat hier ab 1894 die letzten fünf Jahre seines kurzen Lebens verbracht, nachdem er bereits seit 1886 in Savognin gelebt hatte. Hand aufs Herz, kennst du Bilder des Malers? Ich gestehe, wir kannten den Maler und seine Bilder vor unserem Urlaub im Engadin auch nicht. Für uns Grund genug, sich auf den Sentiero Segantini zu begeben.

Wenn es dir genauso geht, lade ich dich ein, dich uns anzuschliessen. Begib dich mit uns auf einen einzigartigen Spaziergang und geniesse die Schönheit der Natur. Wie immer gilt, lass dich inspirieren und mach dir selbst ein Bild. Unsere Spurensuche nach Giovanni Segantini beginnt mit dem Faltprospekt «Sentiero Segantini – Orte der Wahrnehmung» in der Hand am grossen Parkplatz in Maloja.

Ausblick auf die Berge vom Sentiero Segantini hier auf einen markanten Berggipfel, der an einen Hahnenkamm erinnert
Ausblick auf die Berge auf dem Sentiero Segantini

Sentiero Segantini

Haus und Atelier der Familie Segantini

Der Spaziergang auf dem Sentiero Segantini beginnt am Haus und Atelier der Familie Segantini. Erbaut wurde das Haus einst von Alexander Kuoni, dem Ingenieur der Gotthardbahn Gesellschaft. Das Atelier dagegen ist ein massstabsgetreues 1:10 Modell eines Pavillons, welchen Giovanni Segantini für die Weltausstellung 1900 plante.

Die Weltausstellung 1900 in Paris stand unter dem Motto «Bilanz eines Jahrhunderts». Giovanni Segantini’s Pavillon sollte dort die Schönheit des Engadins und die Atmosphäre des Schweizer Lebens in den Alpen als 360° Panorama darstellen. Allerdings scheiterte das Projekt an den hohen Kosten. Das Triptychon «Werden-Sein-Vergehen» sollte in den Pavillon integriert werden. Heute ist es im Segantini Museum in St. Moritz zu bewundern.

Casa Segantini in Maloja mit Modell des Pavillons für die Weltausstellung 1900. Besonders an diesem Pavillon ist die Unterbrechung des Daches durch eine Fensterreihe. Hier beginnt der Sentiero Segantini.
Casa Segantini mit Modell des Pavillons für die Weltausstellung 1900.

Schlussendlich war die Schweiz auf der Jahrhundert-Weltausstellung mit einem ganzen Suisse Village vertreten und machte damit die Schweiz als Tourismusregion in Europa bekannt.

Giovanni Segantini hat, verzaubert vom Licht des Engadins, meist draussen in der Natur gemalt. Insofern war das «Atelier» sein Arbeitszimmer und Bibliothek. Er pflegte regen brieflichen Austausch mit Literaten. Erst sein Sohn Gottardo, der das Haus später auch kaufte, nutzte das Atelier als solches. Eine Tafel an der Casa Segantini zeigt ein Foto der Familie und weist darauf hin, dass sich das Haus bis heute im Familienbesitz befindet.

Eine Tafel am Haus in Maloja von Giovanni Segantini zeigt das Bild der Familie Segantini - Vater, Mutter und vier Kinder
Eine Tafel am Haus in Maloja von Giovanni Segantini zeigt das Bild der Familie Segantini

Der Weg ist das Ziel – Sentiero Segantini

Wir folgen dem Weg am Haus vorbei bergauf. Die Natur ist üppig und wild. Die Sicht auf die umliegenden Berge ist grandios. Auch einen Wasserfall sieht man immer wieder in der Ferne aufblitzen.

Der Sentiero Segantini führt als erstes in die Bergwelt bei Majola. Kiefern, Vogelbeeren, Gräser und die Berge sind auf diesem Bild zu sehen.
Entlang des Sentiero Segantini kann man im Herbst reife Brombeeren naschen.

An der Wegkreuzung zwischen dem Torre Belvedere und den Gletschermühlen weichen wir jedoch vom Sentiero Segantini ab. Wir entscheiden uns, als erstes dem Weg zu den sieben Gletschertöpfen zu folgen. Waren wir doch gerade erst im Gletschergarten in Cavaglia und können nicht genug von den Gletschermühlen bekommen.

Die Bäume geben den Blick auf ein Stück vom Maloja Palace Hotel und den Silsersee frei
Die Bäume geben den Blick auf ein Stück vom Maloja Palace Hotel und den Silsersee frei

Bänke und Ausblicke entlang des Weges laden immer wieder zum Verweilen ein. Am Anfang des Weges steht sogar eine Bücherkiste neben der Bank. Wenn du Zeit hast, kannst du dich einfach setzen, den Ausblick geniessen und in den Büchern schmökern.

Bänke auf dem Weg zu den sieben Gletschertöpfen
Bänke auf dem Weg zu den sieben Gletschertöpfen

Kaum biegt man um die nächste Ecke, läuft man duch einen Kiefernwald. Das Rauschen des Wasserfalls wird stärker, je weiter man läuft. Dieser Weg ist einfach nur schön.

Die Wurzeln der Kiefern ziehen sich wie Adern durch den Weg. - Spurensuche Giovanni Segantini
Die Wurzeln der Kiefern ziehen sich wie Adern durch den Weg. Wer nicht aufpasst stolpert.

Plötzlich öffnet sich der Wald und der Weg führt am Rand eines Flachmoors entlang. Die Farbexplosion der Gräser erinnert an reifendes Getreide. Wir stehen hier im Herbst und müssen plötzlich an Frederick aus dem gleichnamigen Kinderbuch denken. Die Maus Frederick sammelt ungeachtet des kommenden Winters lieber Farben, Sonnenstrahlen und Wörter als Vorräte. Wir tun es ihr gleich.

Das Flachmoor, dessen Farbe an reifenden Weizen erinnert.
Das Flachmoor, dessen Farbe an reifenden Weizen erinnert.

Nachdem das Moor zur Hälfte umrundet ist, geht der Weg zwischen Felsen weiter nach oben. Bevor der Weg endgültig nach Westen dreht, erhaschen wir noch einen Blick auf den Wasserfall.

Wer genau schaut, sieht auch den Wasserfall, dessen Rauschen uns begleitet. - Spurensuche Giovanni Segantini
Wer genau schaut, sieht auch den Wasserfall, dessen Rauschen uns begleitet.
Hinter der Kurve warten die ersten Gletschertöpfe auf dem abwechslungsreichen Weg
Hinter der Kurve warten die ersten Gletschertöpfe auf dem abwechslungsreichen Weg
Der Wasserfall, dessen Musik uns bis hierher begleitet hat, stürzt über die Kante und läuft in einer Rinne abwärts.
Der Wasserfall, dessen Musik uns bis hierher begleitet hat

Gletschermühlen

Schliesslich stehen wir an den ersten Gletschermühlen. Die meisten Gletschermühlen sind jedoch mit Wasser gefüllt. Farne und Azaleen bilden einen hübschen Rahmen.

Eine mit Wasser gefüllte Gletschermühle, der man ansieht, dass mindestens drei bis vier Mahlsteine an der Entstehung beteiligt waren.
Eine mit Wasser gefüllte Gletschermühle

Bevor wir die grosse Gletschermühle erreichen, die Giovanni Segantini als Spiegel für sein Bild «Eitelkeit» als Vorlage benutzt hat, führt uns der Rundweg auf der westlichen Seite zum Abgrund. Hier am oberen Ende des Engandins fehlt ein Talabschluss. Stattdessen fällt das Gelände zum Bergell hin 400 m tief ab.

Der Talkessel des Bergells auf den dieses Bild blickt, entstand bereits früher durch den Fluss Maira. Während das breite Tal mit der Seenlandschaft des Oberengadins, an dessen Ende sich Maloja befindet, später durch den Rückzug der Gletscher entstand.
Der Talkessel des Bergells entstand bereits früher durch den Fluss Maira. Während das breite Tal mit der Seenlandschaft des Oberengadins, an dessen Ende sich Maloja befindet, später durch den Rückzug der Gletscher entstand.
Der Blick auf die verschiedenen Bergketten ist trotz der Wolken beeindruckend.
Der Blick auf die verschiedenen Bergketten ist trotz der Wolken beeindruckend.

Und dann stehen wir vor der Gletschermühle, die Giovanni Segantini als Spiegel für sein Bild «Eitelkeit» diente.

Der Sentiero Segantini führt zur grossen Gletschermühle. Diese diente Giovanni Segantini als Vorlage für sein Bild "Eitelkeit". Heute spiegeln sich hier Bäume und der Fels.
Die grosse Gletschermühle, die Giovanni Segantini als Vorlage für sein Bild «Eitelkeit» benutzte.

Eine Schautafel zeigt das Bild «Eitelkeit». Beim Betrachten kommt unweigerlich die Frage auf, ob die Natur mit all den Bäumen sich im Laufe der Zeit so verändert hat?

Hinweistafel auf dem Sentiero Segantini mit dem Bild "Eitelkeit" von Giovanni Segantini
Hinweistafel auf dem Sentiero Segantini mit dem Bild «Eitelkeit» von Giovanni Segantini

Torre Belvedere

Der Sentiero Segantini führt ebenfalls am eindrucksvollen Torre Belvedere vorbei. Dieser gehört zu den Schlossplänen des Grafen de Renesse. Da dem Grafen das Geld aus ging, wurde das Schloss nicht vollendet. Die bereits gebauten Gebäudeteile verfielen. Giovanni Segantini plante kurz vor seinem Tod, es als Familienwohnsitz umzubauen. Später wurde der Turm mit seiner wunderbaren Rundumsicht vom Verkehrsverein restauriert. Als wir da waren, war der Turm nicht zugänglich.

Der Torre Belvedere wirkt wie aus dem Mittelalter entsprungen. - Sentiero Segantini
Der Torre Belvedere wirkt wie aus dem Mittelalter entsprungen.
Neben dem Torre Belevedere sind noch schöne Gewölbegänge des nie fertiggestellten Schlosses zu sehen. - Sentiero Segantini
Neben dem Torre Belevedere sind noch schöne Gewölbegänge des nie fertiggestellten Schlosses zu sehen.
Diese Tafel zeigt eine Skizze, wie Giovanni Segantini sich den Umbau als Familienwohnsitz vorstellte. Es wäre ein prachtvolles Schloss geworden.
Diese Tafel zeigt eine Skizze, wie Giovanni Segantini sich den Umbau als Familienwohnsitz vorstellte.
Die Gewölbegänge der Ruine des Schlosses Belvedere bieten vielfältige Aus- und Einblicke
Die Gewölbegänge der Ruine des Schlosses Belvedere bieten vielfältige Aus- und Einblicke

Über eine Treppe erreicht man die Gewölbedecke und kann von dort die Aussicht geniessen. Zu unserem Erstaunen waren Leute vom Vogelschutzbund dort, um Vögel zu zählen. Der Maloja Pass ist ein bekannter Übergang von und nach Süden für Zugvögel. Normalerweise kann man Mitte bis Ende September viele Vögel über dem Pass beobachten. Für den Herbstzug bevorzugen die Vögel gute Wetterverhältnisse. Dieses Jahr scheint der Vogelzug aber später loszugehen.

Während wir dort oben stehen und uns mit den Leuten unterhalten, kommen vor allem eilige Tannenhäher vorbei. Diese Vögel vergraben bis zu 100.000 Samen für den Wintervorrat.

Immer mehr Wolken ziehen inzwischen auf und trüben die Sicht von Schloss Belvedere in Maloja auf das Bergell.
Immer mehr Wolken ziehen inzwischen auf und trüben die Sicht von Schloss Belvedere.

Auf dem Weg zur Chiesa Bianca

Unsere Route auf dem Sentiero Segantini führt uns zurück zum Parkplatz, nachdem wir uns endlich losgerissen haben. Jetzt hat der kleine Molkereiladen vis-á-vis des Parkplatzes auf, wo wir uns ein Eis am Stiel als Wegzehrung gönnen. Ausser allerlei Molkereiprodukten kann man dort auch verschiedene Spezialitäten aus der Region erwerben. Hier bekommen wir endlich die Nudeln aus Esskastanienmehl, die uns auf unserer Wanderung zum Val Roseg so gut geschmeckt haben. Neben dem Parkplatz weist eine weitere Tafel auf Bilder von Giovanni Segantini hin. Allerdings gibt es die Caverna Americana längst nicht mehr. Wir gehen weiter in Richtung Chiesa Bianca.

Auf dem Weg zum Friedhof gibt es rechts und links einiges zu entdecken. Sehr schön anzusehen sind die rosa Blütenrispen dieser Pflanze. Allerdings hat sie sich bedrohlich ausgebreitet.

Diese Pflanze ist schön, aber invasiv. Die Insekten lieben sie. - Sentiero Segantini
Diese Pflanze ist schön, aber invasiv. Die Insekten lieben sie.
Golden leuchtende Samenstände in der Sonne - Sentiero Segantini
Golden leuchtende Samenstände in der Sonne

Der Sentiero Segantini führt vorbei am Friedhof, auf dem Giovanni Segantini begraben ist. Dort malte Giovanni Segantini das Bild Glaubenshorst mit Blick auf die Berge.

Bevor man die Chiesa Bianca sieht, weisen einen Hinweistafeln noch auf verschiedene Skizzen und Studien von Giovanni Segantini hin. Die Natur hat sich seitdem definitiv sehr verändert.

Die Chiesa Bianca in Maloja
Die Chiesa Bianca in Maloja

Die Chiesa Bianca wurde 1882 nach nur drei Monaten Bauzeit auf den Namen San Gaudenz geweiht. In Auftrag gegeben hatte sie ebenfalls der belgische Graf de Renesse. 1967 wurde die Kirche desakriert und erhielt im Jahr 1995 den Namen Chiesa Bianca. Im August findet in der Kirche jährlich eine Ausstellung statt. Danach schliesst die Kirche, da sie nicht beheizbar ist. In der Chiesa Bianca wurde Giovanni Segantini aufgebahrt und von seinem Freund Giovanni Giacometti ein letztes Mal gezeichnet.

Hier sieht man das Palace Hotel in Maloja umgeben von der Architektur der letzten 50 Jahre.
Hier sieht man das Palace Hotel in Maloja umgeben von der Architektur der letzten 50 Jahre.

In einem Bogen laufen wir zurück zum Parkplatz. Uns ist klar, dass wir nicht alle Stationen auf dem Sentiero Segantini besucht haben. Eine weitere Station werden wir noch auf dem Rückweg mit dem Auto anfahren. Jetzt bewundern wir einmal mehr die vielfältige Architektur im Ort.

Katholische Kirche St. Peter und Paul, Maloja. Die Kreuzgänge erinnern an ein Kloster. Ein spitzes Dreieck wurde zum Kirchturm. Die Form wiederholt sich nur liegend im Kirchengebäude.
Katholische Kirche St. Peter und Paul, Maloja

Maloja und der Graf de Renesse

Direkt am Ortseingang, am Ende des Silsersees begrüsst einen ein grosses, äusserlich fast orientalisch anmutendes Hotel. Tatsächlich wurde das Hotel im Stil der Neorenaissance 1894 erbaut. Und der Erbauer dieses Hotels war niemand anderes als Graf Camille de Renesse. Doch wie kam es dazu?

Der belgische Graf weilte 1880 zur Erholung in Maloja und hatte während dieses Aufenthalts die Idee, vom Reissbrett aus eine Kurstadt für die Schönen und Reichen zu erbauen. So kaufte er mal eben 140 Hektar Land am Silsersee in Maloja. Sein erstes Grossprojekt war der Bau des Hôtel Kursaal de la Maloja, welches das heuige Palace Maloja ist. Weiteren Projekten wie der Chiesa Bianca oder seiner mittelalterlich anmutenden Residence sind wir ja schon auf dem Sentiero Segantini begegnet.

Nachdem dieses alles dominierende Grandhotel fertiggestellt war, ging dem Grafen jedoch das Geld aus. Unglücklicherweise brach wenige Tage nach der Eröffnung in Italien eine Cholera Epidemie aus, die potentielle Gäste abschreckte. Ende des Jahres starb dann auch noch seine Frau und so wurde nichts aus der Kurstadt mit Bädern, Golf etc.

Letzte Station des Sentiero Segantini

Am Parkplatz des Silsersees befindet sich die letzte Station des Sentiero Segantini. Zwei weitere Hinweistafeln zeigen einerseits ein Bild des Grandhotel, von Giovanni Giacometti gemalt, und andererseits das Bild Frühlingserwachen von Giovanni Segantini.

Tafel auf dem Sentiero Segantini mit einem Bild seines Freundes Giovanni Giacometti vom heutigen Hotel Palace
Tafel auf dem Sentiero Segantini mit einem Bild seines Freundes Giovanni Giacometti vom heutigen Hotel Palace

Wir geniessen noch einen Blick über den Silsersee und fahren anschliessend zurück nach St. Moritz. Für das Segantini Museum ist es leider zu spät geworden.

Maloja ist ein Ort mit einem Mix von auffälliger Architektur und einer zerfaserten Struktur. Und auch wenn wir nicht alle Stationen des Sentiero Segantini abgelaufen sind, können wir den Weg sehr empfehlen. Vor allem der kleine Umweg vorbei an den sieben Gletschertöpfen ist wunderschön.

Blick über den Silsersee von Maloja aus
Blick über den Silsersee von Maloja aus
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